Die Nacht von Hannover

In der ersten Runde der Oberliga Nord spielen wir gegen den Aufsteiger Hamelner SV. Wie es der Zufall wollte, lief mir am Rande der „Nacht von Hannover“ deren Protagonist über den Weg. Da lag es nahe, dass ich die Gelegenheit ergriff, möglichst viele Geheimnisse über die Taktik unseres Gegners herauszufinden. Nee, Quatsch. Bevor ich weitererzähle, zeige ich euch die beiden wichtigsten Personen (VIP) der gestrigen Nacht:

FM Wilfried Bode (Hamelner SV)
FM Wilfried Bode (Hamelner SV)
Radprofi Marcel Kittel (Quick Step Floors)
Radprofi Marcel Kittel (Quick Step Floors)

Wilfried Bode ist nun wirklich nicht zu übersehen. Und so liefen wir uns gestern mehrmals über den Weg mit der Folge, dass ich ein Vorurteil über die Hamelner Schachspieler begraben konnte. Bislang hatte ich nämlich den Eindruck gewonnen, Mitglieder des Hamelner SV hätten nur ein Thema: Schach. Irrtum. Mit Wilfried konnte ich über viel mehr reden; z.B. über seinen speziellen Musikgeschmack.

Unter echten Radsportlern gilt die „Nacht von Hannover“ als Kirmesveranstaltung, was ihren Wert keineswegs schmälert. Sportarten, die in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden, führen ein Notte-040Nischendasein. Wir Schachspieler können ein Lied davon singen. Umso wichtiger war es, dass der Superstar Marcel Kittel tatsächlich kam. Bis zuletzt stand das auf der Kippe. Namhafter Ersatz war nicht verfügbar, denn zeitgleich laufen an diesem Wochenende wichtigere Notte-060Radsportveranstaltungen: in San Sebastian und London sowie die Polen-Rundfahrt. Marcel Kittel wurde seiner Favoritenrolle gerecht und gewann sowohl das Hauptrennen als auch das Ausscheidungsfahren. – Der Aufwand für diese Veranstaltung war gewaltig. Das Wetter, die launische Diva, spielte zum Glück mit. Etwa 30.000 Zuschauer sollen gekommen sein. Vermutlich waren es ein paar weniger, was dem Erfolg keinen Abbruch tat.

Für mich war die Veranstaltung zugleich eine Zeitreise, denn ich habe an der Strecke nicht nur Wilfried Bode getroffen, sondern viele andere Personen, die ich seit einer Ewigkeit kenne, und mit denen ich viele gemeinsame Erlebnisse teile. Dazu gehören diverse Meisterschaften und Trainingslager an der Costa Brava und auf Mallorca.

Erwin & Robert Czerwonka
Erwin & Robert Czerwonka

Über die Begegnung mit einem Mitglied unseres Schachvereins und dessen Sohn habe ich mich besonders gefreut. Erwin Czerwonka ist seit vielen Jahren passiv. Dennoch hält er unserem Verein die Treue. In den achtziger Jahren gehörte Erwin zum Stamm der ersten Mannschaft. Sein Sohn Robert favorisiert seit langem den Radsport, obwohl er als Jugendlicher sein Talent fürs Schachspiel aufblitzen ließ.

Die Sintflut und ihre Folgen

Hochwasser-01Zwischen Harz und Hannover hat die braune Brühe große Schäden angerichtet. Schachhochburgen wie Goslar, Bad Harzburg, Bad Salzdetfurth, Wolfenbüttel und Hildesheim sind davon betroffen. Ich hoffe, dass die dortigen Schachvereine verschont geblieben sind. Für Hannover, insbesondere für Linden, der Heimat unseres Schachvereins, kann ich Entwarnung geben. Das Hochwasser steht dort, wo es keinen Schaden anrichten kann. Niedersachsens Ministerpräsent Stephan Weil verkündet stolz, dass der Neubau des Ufers entlang des Ihme-Zentrums dazu beigetragen hat. Mag sein. Bis auf überschwemmte Geh- und Radwege ist derzeit alles im braunen und damit grünen Bereich. Als Beleg zeige ich euch ein paar Fotos von heute Nachmittag.

Über Strohfrauen und Strohmänner

Bei der Diskussion über unsere Mannschaftsaufstellungen, die in einem hannoverschen Biergarten vor der Sintflut stattfand, kam ein Detail zur Sprache; nämlich inwieweit Spielerinnen und Spieler in Mannschaften gemeldet werden dürfen, deren tatsächlicher Einsatz aus unterschiedlichen Gründen nicht beabsichtigt ist. Ich habe mich einmal in den Dschungel der insgesamt 7 Turnierordnungen gestürzt, die in Niedersachsen von der Kreisklasse bis zur Oberliga gültig sind. Danach gilt für die Ligen auf Landesebene (Verbands- und Landesliga) sowie für die Spielgemeinschaft Niedersachsen/Bremen (Oberliga) folgende Regel:

B.1.5 Ranglisten (Mannschaftsmeldung)
(1) Für jede Mannschaft ist jeweils bis zum 1. August eine Rangliste namentlich in der Reihenfolge der Brettbesetzung dem zuständigen Staffelleiter vorzulegen. Es darf kein Stammspieler (Brett 1-8) mit einer um mehr als 300 Punkte schlechteren DWZ vor einem Spieler gemeldet werden, der eine um mehr als 300 Punkte bessere DWZ besitzt. Es gilt die DWZ-Liste der DWZ-Datenbank des Deutschen Schachbundes vom 1. Juli. Über Ausnahmen bei Spielern ohne DWZ entscheidet der Turnierleiter der Spielgemeinschaft Niedersachsen/Bremen auf Antrag.

Damit soll offenbar verhindert werden, dass Spielerinnen oder Spieler von der Resterampe als Platzhalter missbraucht werden. Ob diese Regel Sinn macht, sei dahingestellt. Fakt ist indes, dass es diese Regelung auf Bezirksebene nicht gibt. In den 6 Turnierordnungen der Bezirke habe ich jedenfalls keinen entsprechenden Passus gefunden; d.h. wenn ich mich nicht irre, darf z.B. in der Bezirksliga trotz eines 2. Bretts DWZ >2000 jemand mit einer DWZ <1000 fürs 1. Brett gemeldet werden.

Strohmann
Strohmann

Gestern in Düsseldorf

Es gibt nur wenige Sportarten, die im Sitzen ausgetragen werden. Das Schachspiel und der Radsport gehören dazu. Womöglich war das ausschlaggebend für meine Leidenschaften, die sich in meinem Leben mal auf die eine, mal auf die andere Sitzposition fokussierten. Aber es gibt noch andere Parallelen zwischen beiden Sportarten; den Individualismus zum Beispiel. In den rund 30 Jahren als aktiver Radsportler – davon viele Jahre als lizensierter Radrennfahrer – habe ich auf meiner Rennmaschine etwa die Entfernung zwischen unserer Erde und dem Mond zurückgelegt. Nun bin ich – bildlich gesprochen – dort angekommen. Für eine Rückfahrt reicht die Lebenszeit nicht mehr. Die Lust am Zugucken ist mir geblieben. Deshalb bin ich gestern nach Düsseldorf gefahren.

Tour-01Nach 30 Jahren wurde der Start des größten Radrennens der Welt – die Tour de France – wieder nach Deutschland verlegt. Düsseldorf hatte sich beworben und den Zuschlag erhalten. Chapeau! Dazu gehört Mut, denn wir Deutschen sind nachtragend. Wenn Schlipsträger betrügen, verzeihen wir denen nach kurzer Zeit alles, aber wehe ein Sportler wird mit Doping in Verbindung gebracht. Der hat sein Leben lang verschissen; siehe den deutschen Tour-Liebling von einst: Jan Ullrich.

Unter Journalisten sind die Ressentiments nach wie vor groß. Das belegt der ganzseitige Artikel in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung. „Sein und Schein“ heißt die Überschrift. Den Inhalt könnt ihr euch denken. Die Lust am Miesmachen gehört zur Deutschen Seele. Apropos Lust. Der Madsack-Verlag hatte eine Umfrage in Auftrag gegeben und das Ergebnis vergangene Woche in der HAZ veröffentlicht. Ob die Lust der Deutschen auf die Fußball-WM 2018 in Russland wegen der Krim-Politik Putins vergangen sei, war die törichte Frage. Die Lust kommt und geht; siehe Confed Cup. Wer jetzt schon weiß, wie er sich in einem Jahr fühlen wird, ist entweder gefühlskalt oder indoktriniert.

Die Tour de France auf der Königsallee
Die Tour de France auf der Königsallee
Blick auf die Oberkasseler Brücke
Blick auf die Oberkasseler Brücke
Die Heinrich-Heine schippert im Tour-Look
Die Heinrich-Heine schippert im Tour-Look

In Düsseldorf war trotz des miesen Wetters von Ressentiments nichts, aber auch gar nichts zu spüren. Die Stimmung war prächtig. Rechtsrheinisch bin ich die ganze Strecke vier Stunden lang rauf und runter gelaufen. Die Menschen standen dicht gedrängt, es gab kaum Lücken.

Als die Werbekarawane vorwegfuhr, war der Himmel zwar dunkelgrau verhangen, hielt sich mit seiner Notdurft jedoch zurück. Das änderte sich, als die Profis zum Einzelzeitfahren auf die Strecke geschickt wurden. Fortan regnete es ununterbrochen. Trotzdem verharrten die Zuschauer unentwegt an der Strecke und feuerten im Minutentakt jeden vorbeirauschenden Radprofi lautstark an.

Ein BMC-Fahrer kurz vorm Ziel
Ein BMC-Fahrer kurz vorm Ziel

Die Organisation halte ich für vorbildlich. Schon im Hauptbahnhof war ein Informationsstand aufgebaut. Dort und an vielen anderen Stellen erhielt man kostenlos Stadtkarten und Broschüren. Die Sicherheitsmaßnahmen waren kaum spürbar. Das hatte ich anders erwartet. Taschenkontrollen und dergleichen gab es nicht. An der Rennstrecke waren gewaltige Brücken in Stahlgerüstbauweise errichtet worden. Die haben sich bewährt. Darüber hinaus gab es barrierefreie Übergänge. Neben verschiedenen VIP-Anlagen war für Behinderte ein Rollstuhlpodest aufgebaut. Public Viewing wurde an mehreren Stellen geboten.

Leere Fahrradständer soweit das Auge reicht
Leere Fahrradständer soweit das Auge reicht

Allerdings haben sich die Veranstalter mit den Fahrradabstellplätzen total verschätzt. Es gab insgesamt 19(!) zum Teil riesige für Fahrräder reservierte Flächen. Die blieben fast ungenutzt. Auch wenn das Wetter besser gewesen wäre, wären nur wenige Zuschauer zum Zugucken mit dem Fahrrad gekommen. Die Zahl der Besucher schätze ich auf 150.000. Das halte ich für einen großartigen Zuspruch, an dem viele ausländische Fans beteiligt waren. In den Medien wird von 500.000 Zuschauern berichtet. Diese Wunschzahl des Veranstalters ist – wie so häufig – völlig aus der Luft gegriffen.

Die sportlichen Ergebnisse könnt ihr den einschlägigen Berichten in den Medien entnehmen. Gestern war der Auftakt. Es folgen drei spannende Wochen. Den Franzosen sei Dank. Ihnen ist es nachhaltig gelungen, Sport, Kommerz und Kultur auf geniale Weise zu vereinen. Und das umsonst und draußen. In der Düsseldorfer Altstadt dominierten leider die Regenschirme. C’est la vie.

Tour-08In meiner Bildergalerie gibt’s ein paar Eindrücke von der Werbekarawane, die modern und spritzig daherkam.