Dreierlei Maß

Tritt eine Schachmannschaft zum angesetzten Termin nicht an, muss sie büßen. So weit, so gut. Was derzeit an Bußen in den Turnierordnungen festgeschrieben ist, ist jedoch haarsträubend. Die aus meiner Sicht sittenwidrigen Regelungen beginnen damit, dass das Strafmaß in den Landesklassen Niedersachsen/Bremen, in der Oberliga Nord und in der 2. Bundesliga unterschiedlich ausfällt. Damit wird gegen das Gleichheitsprinzip verstoßen. Am härtesten trifft es die Mannschaften in der Oberliga Nord.

Turnierordnung Oberliga Nord

2.10 Spielausfälle und Nichtantreten
2.10.1 Tritt eine Mannschaft zum angesetzten Termin nicht an, so wird der Wettkampf mit 0:8 verloren gewertet. Eine Mannschaft ist nicht angetreten, wenn 30 Min. nach Spielbeginn weniger als vier Spieler am Spielort erschienen sind.

2.10.2 In Ausnahmefällen „Höhere Gewalt“ kann der Turnierleiter einen neuen Termin ansetzen.

2.10.3 Die nicht angetretene Mannschaft erstattet in jedem Fall ihrem Gegner alle für die Durchführung des ausgefallenen Wettkampfes nachweisbaren Kosten bis zu einer Höhe von 100,00 € und hat außerdem ggf. angefallene Schiedsrichterkosten zu tragen.

2.10.4 Abgesehen von Fällen nach Ziff. 2.10.2 wird die nicht angetretene Mannschaft zur Zahlung einer Buße in Höhe von 1000,00 € herangezogen. Diese Mannschaft verliert ihren Kampf mit 0:8, zudem werden ihr zwei weitere Mannschaftspunkte in der Tabelle abgezogen. […]

Gegen 2.10.1 ist nichts einzuwenden; gleichwohl gegen 2.10.2. Der Turnierleiter entscheidet als einzige Person, ob „Höhere Gewalt“ vorliegt und damit, ob eine Mannschaft drastisch bestraft wird oder nicht. In der Rechtsprechung ist die Definition „Höhere Gewalt“ ein schwieriges Thema. Ob der Turnierleiter allein ein objektives Urteil fällen kann, darf bezweifelt werden. Den Hinweis auf Höhere Gewalt gibt es in der Turnierordnung der 2. Bundesliga nicht. Dazu später mehr. – Gegen 2.10.3 wäre nichts einzuwenden, wenn es den 2.10.4 nicht gäbe.

Eine Mannschaft, die aus welchen Gründen auch immer, nicht angetreten ist, muss 1.000 € Buße + ca. 200 € Nebenkosten an den Verband zahlen. Diese Geldbuße ist der Höhe nach inakzeptabel. Wer den Etat der meisten Schachvereine kennt, weiß, dass ein Verein auf diese Weise ruiniert werden kann. Was soll das?

Dass dieser Betrag abschrecken soll, ist zwar einleuchtend, die Denkweise, die dahintersteht, ist einer fairen Maßregelung jedoch unwürdig, weil sie impliziert, dass der Verein vorsätzlich gehandelt hat. Zur Rechtsprechung gehört die Unschuldsvermutung. Was ist, wenn ein Auto bei der Anfahrt streikt, in dem 5 Schachfreunde sitzen? Ist das Höhere Gewalt? Nein.

Vor vielen Jahren kam es in der Regionalliga Nord zu folgendem Zwischenfall: Wir hatten unser Spiellokal für einen Mannschaftskampf  gegen die SG Osnabrück verlegen müssen und dies rechtzeitig angekündigt. Die Osnabrücker hatten das verpennt. Als sie im richtigen Spiellokal ankamen, war es zu spät. Den Mannschaftskampf hatten sie damit kampflos verloren. Das war bitter genug, aber nachvollziehbar. Nach der heute gültigen Turnierordnung müssten sie dafür rund 1.200 € Strafe bezahlen und weitere zwei Mannschaftspunkte einbüßen.

Selbst wenn man für die Höhe der Buße Verständnis hätte, widerspricht der Abzug zweier Mannschaftspunkte, die redlich erworben wurden, dem gesunden Rechtsempfinden. Offensichtlich hat sich der Vater (die Väter?) dieser zusätzlichen Strafe von ähnlichen Strafen aus dem Profifußball leiten lassen. In seltenen Fällen wurden Fußballvereine mit einem Punktabzug vor oder während der Saison bestraft. In all diesen Fällen lag die Ursache in falschen Tatsachenbehauptungen der Vereine. Im Klartext: sie hatten den Verband wissentlich getäuscht. Zu unterstellen, jeder Nichtantritt einer Mannschaft sei vorsätzlich erfolgt, ist abwegig und widerspricht den hehren Zielen der FIDE (Gens una sumus).

Turnierordnung 2. Bundesliga

H-2.7.1 Tritt eine Mannschaft nicht an, verliert sie ihren Kampf mit 0:8. Bei schuldhaftem Nichtantreten hat der Verein eine Geldbuße von € 500,00 zu zahlen, zudem werden ihr zwei weitere Mannschaftspunkte in der Tabelle abgezogen. Bei Nichtantritt in einer der letzten drei Runden erhöht sich die Geldbuße auf € 1.000,00.

Es fällt auf, dass in der 2. Bundesliga ebenfalls zwei weitere Mannschaftspunkte abgezogen werden, wobei ein „schuldhaftes Nichtantreten“ vorliegen muss. Was „schuldhaft“ ist, bleibt im Dunkeln. Höhere Gewalt wird in der Turnierordnung nicht genannt. Wer ohne Schuld ist, ziehe die ersten Punkte ab (kleine Anleihe aus der Bibel).

Weiterhin fällt auf, dass in den ersten 6 Runden ein Nichtantreten „nur“ mit 500,00 € bestraft wird; also die Hälfte dessen, was in der Oberliga Nord fällig wird. – Es geht auch anders. Von Humanismus geprägt ist diese Turnierordnung:

Turnierordnung Niedersachsen/Bremen für Landes- und Verbandsliga

B.1.12 Spielausfälle
(1) Tritt eine Mannschaft zum angesetzten Termin nicht an, so wird der Kampf für sie mit 0:8 verloren gewertet. Eine Mannschaft, die zu zwei Mannschaftskämpfen nicht angetreten ist, scheidet aus der Spielgemeinschaft aus. Sie steigt in den zuständigen Regionalbereich ab und hat eine Geldbuße in Höhe von 250 EUR an die jeweilige Verbandskasse zu zahlen. Die erzielten Ergebnisse werden annulliert.

(2) Die nicht angetretene Mannschaft erstattet in jedem Fall ihrem Gegner alle für die Durchführung des ausgefallenen Kampfes nachweislich entstandenen Kosten bis zu einer Höhe von 50 EUR.

(3) In Ausnahmefällen – höhere Gewalt – kann der Turnierleiter der Spielgemeinschaft Niedersachsen/Bremen einen neuen Termin ansetzen.

(4) Abgesehen von Fällen von höherer Gewalt wird die nicht angetretene Mannschaft zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 1,00 EUR je Kilometer einfache Entfernung, mindestens jedoch in Höhe von 100 EUR herangezogen. Falls keine Absage bis zum Tag vor dem Spieltermin um 18:00 Uhr erfolgt ist, verdoppelt sich die Geldbuße. Dieser Betrag verfällt der jeweiligen Verbandskasse.

(5) Zieht ein Verein eine Mannschaft nach Turnierbeginn zurück, so werden die bisher erzielten Ergebnisse gestrichen. Die Mannschaft gilt als erster Absteiger und zahlt eine Geldbuße in Höhe von 250 EUR. Dieser Betrag verfällt der jeweiligen Verbandskasse.

Das nenne ich fair und ausgewogen. Das Wort „Schuld“ kommt gar nicht vor! Beim ersten Nichtantritt fallen nur die nachweislich entstandenen Kosten des Gegners an – gegenüber 1.000 € in der Oberliga. Am Ende können es 250,00 € +Nebenkosten sein. Das ist angemessen. Kein Schachverein bleibt einem Mannschaftskampf aus niedrigen Beweggründen fern.

Warum erzähle ich das? Den meisten Schachspielern wird das alles egal sein. Die wollen nur spielen. Anders sieht es bei den Verantwortlichen in den Vereinen aus. Die müssen im Ernstfall den Kopf hinhalten. Außerdem sorgen solche Strafen für erheblichen Unmut und konterkarieren die satzungsgemäße Pflicht, das Schachspiel zu fördern. Keinem Verein in der Oberliga Nord und in der 2. Bundesliga wünsche ich ein Szenario, das mit einer Buße >1.000 € und Punktabzug geahndet wird. Aber sollte es so sein, werden sie nicht mit der Solidarität der anderen Vereine rechnen können. Jeder ist sich selbst der Nächste. Es wäre besser, wenn sich die Vereine dieser Ligen gemeinsam für eine ausgewogene Sportgerichtsbarkeit stark machen würden. Für die Saison 2018/19 ist es noch nicht zu spät.