Arbeiter sind unter Schachspielern so selten geworden wie Mettbrötchen auf dem Speiseplan von Angela Merkel. Das hat seine Gründe. Bei Angela sind die offensichtlich, bei Schachspielern müssen wir die Geschichtsbücher bemühen oder in die Annalen des eigenen Vereins gucken. Die Fusion der beiden Vereine „Schachfreunde Hannover“ und „Schachvereinigung Hannover“ im Jahre 2001 hat auch namentlich zu einer Verschmelzung geführt. Der Name „Schachvereinigung“, der aus dem „Arbeiter-Schachklub-Hannover“ hervorgegangen ist, wurde zugunsten der Schachfreunde getilgt, aber das Gründungsdatum 1919 blieb im offiziellen Vereinsnamen erhalten. Nun habe ich persönlich meine Wurzeln bei den Schachfreunden und kann deshalb wenig zur Geschichte des Arbeiter-Schachklubs beitragen. Es gibt jedoch Zeitgenossen, die unter Schachspielern großgeworden sind, die die Härte des Klassenkampfes erlebt haben. Dazu gehört Jürgen Juhnke.
Das Foto stammt aus einem verblichenen HAZ-Artikel. Jürgen war damals Vierter bei den offenen Niedersachsenmeisterschaften geworden. – Als die Schachvereinigung ihr 50jähriges Jubiläum feierte, war Jürgen Juhnke ein junger Spund und als solcher einer der besten Nachwuchs-Schachspieler Deutschlands. Unser Blog hat Jürgen dazu angeregt, Erinnerungsstücke hervorzuholen. Etwas davon werde ich gleich präsentieren. Zunächst möchte ich jedoch auf die Geschichte der Schachvereinigung im Besonderen und die des Arbeiterschachs im Allgemeinen eingehen.
Auf unserer Webseite findet ihr unter „Historie“ folgenden Artikel, den Jürgen Reschke anschaulich geschrieben hat: Historie
Ein epochales Werk über die „Geschichte des deutschen Arbeiterschachs“ hat Gerhard Willeke verfasst. Er verstarb kurz bevor sein Buch im Jahr 2002 veröffentlicht wurde. Auf 340 Seiten hat Gerhard Willeke akribisch das zusammengetragen, was heute auf den ersten Blick niemand interessiert. Deshalb habe ich das Buch zunächst belächelt, als ich davon erfuhr. Auf den zweiten Blick ist es hilfreich, unsere Geschichte zu verstehen. Nicht nur die Geschichte des Arbeiterschachs, sondern die Geschichte unserer Gesellschaft, die 1933 mit der Machtübernahme durch die Nazis eine grauenhafte Entwicklung nahm. Das Buch könnt ihr im Internet aufrufen: Arbeiterschach-neu.pdf wissenswertes über die Geschichte der Schachvereinigung. Auf den Seiten 259 und 260 erfahrt ihr etwas über den „Arbeiterschachklub Turm Anderten“. Am 11. Mai 1933 war Schluss mit dem Arbeiterschach in Deutschland. Diejenigen, die sich nicht fügten, wurden gnadenlos verfolgt (siehe z.B. Seite 300+301), die anderen verkauften ihre Seelen mit „Ergebenheitsbekundungen“.
Zurück zu Jürgen Juhnke. Zu den Erinnerungsstücken, die er mir geschickt hat, hat er folgendes geschrieben:
„In der SVH wurde zu meiner Zeit nicht über Politik gesprochen, zumindest bemerkte ich nichts dergleichen. Auch die Hintergründe des regelmäßig angewandten „Frei Schach!“ erfuhr ich nicht (fragte vielleicht auch nicht nach). Schachfreund – vielleicht darf ich auch sagen Schachgenosse – Karl Danne war zu meiner SVH-Zeit (Ende 60er) bereits recht alt und vermachte mir einige Hefte der Arbeiter-Schachzeitung aus den 20er/30er-Jahren. Ich hielt diese stets in Ehren und leitete sie viel später weiter an die Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Deckblätter kopierte ich – siehe Anhang – und verweise auf den Haupt-Artikel des Heftes vom März 1933 über Karl Marx und Wilhelm Liebknecht als Schachspieler. Vielleicht gaben solche Geschichten den Genossen Trost in schwerer Zeit, sind auch heute noch nett zu lesen.“
Das mit dem „netten Lesen“ sehe ich so wie Jürgen. Karl Marx war bereits 50 Jahre tot, und Wilhelm Liebknecht starb 1926. Der Sohn von Wilhelm, Karl Liebknecht, wurde 1919 im Gründungsjahr des Arbeiter-Schachklubs-Hannover ermordet. Unabhängig von ideologischen Brillen zeigt diese Anekdote, dass es unter Schachspielern stets „gemenschelt“ hat und ewig „menscheln“ wird. Die Nummer 3 aus dem März 1933 war womöglich die letzte Ausgabe der Arbeiterschachzeitung DAS.
Angesichts der aktuellen Diskussionen um die Aberkennung der Fördermittel durch das BMI, das dem Schachspiel „sportspezifische eigenmotorische Bewegungen“ abspricht, ist der folgende Aufmacher „Sport- oder Kulturkartelle?“ aus dem Jahr 1932, Heft Nr. 9, geradezu prophetisch.