Schach in der Literatur

Die Schachfreunde-Bestsellerliste

von Udo Harms

1) Vladimir Nabokov: Lushins Verteidigung

Das muss jeder Schachspieler, der sich für Literatur interessiert, einfach gelesen haben.

2) Stefan Zweig: Die Schachnovelle

Nach Lushins Verteidigung der literarisch anspruchsvollste Schachroman.

3) Thomas Glavinic: Carl Haffners Liebe zum Unentschieden

Sehr gut: Der einzige Roman, in dem Schach ernstgenommen wird, nicht nur Folie für eine Geschichte ist.

4) Wolfram Runkel: Schach. Geschichte und Geschichten

Eine tolle Sammlung interessanter Geschichten rund ums Schach.

5) Ernst Strouhal: Schach. Die Kunst des Schachspiels

Schöner Bildband.

6) Roswin Finkenzeller u.a.: Schach, 2000 Jahre: Das Spiel, die Geschichte, die Meisterpartien

Noch ein schöner Bildband.

7) Tom Standage, Der Türke

Tolles Buch über den berühmtesten Automaten der Welt.

8) Colleen Schafroth: Schach. Eine Kulturgeschichte

Mal wieder ein schöner Bildband

Yoko Ogawa: Schwimmen mit Elefanten, Aufbau-Verlag, 318 Seiten, 9,99 Euro

Ein Junge lernt von einem sehr übergewichtigen ehemaligen Busfahrer, der inzwischen in einem ausrangierten Bus lebt, das Schachspielen. Sofort ist er fasziniert von diesem Spiel, in dessen tiefere Geheimnisse er in den nächsten Jahren eindringt, indem er täglich mit dem „Meister“ spielt. Für den Jungen, der in Ogawas Roman wie fast alle Figuren keinen Namen hat, tut sich eine faszinierende neue Welt auf. Mit seinem jüngeren Bruder lebt er bei seinen Großeltern, er ist schweigsam, fast verschlossen, in der Schule ist er ein Einzelgänger, Freunde hat er nicht. In seiner eigenen Welt gibt es einen Elefanten, der einst bis an sein Lebensende auf dem Dach eines Kaufhauses bleiben musste, weil die Attraktion für Kinder zu dick wurde, um wieder heruntergebracht werden zu können. Und das Mädchen Miira, das einst einfach verschwand – die Erwachsenen sagen, sie sei in einer Hausspalte stecken geblieben, wo sie nun als Geist herumspuken müsse.

Beim Schach entwickelt der Junge bald die Besonderheit, dass er beim Spielen am liebsten unter dem Brett sitzt. Die Züge des Gegners hört er von dort, nur zum Ziehen kommt er hervor. Diese Eigenart verschließt ihm den Weg in die Welt des Turnierschachs, in der er es sonst weit hätte bringen können. Stattdessen wird er zum Bediener eines Schachautomaten, einer Puppe, in der er sich verstecken kann, die Züge führt er durch einen komplizierten Mechanismus aus. Und auch hier hört er die Züge seiner Gegner, er spielt in absoluter Dunkelheit. Ein Mädchen, auf deren Schulter stets eine Taube sitzt, hilft ihm, wenn geschlagene Figuren vom Brett geräumt werden müssen, sie notiert auch die einzelnen Züge – der Junge nennt sie Miira, er ist überzeugt, sie sei das Mädchen aus der Hausspalte. In seiner Puppe, die nach dem großen russischen Schach-Weltmeister „Kleiner Aljechin“ heißt, fühlt sich der Junge so wohl, dass er beschließt, nicht mehr zu wachsen, damit er immer in den Kasten passt, von wo aus er gut versteckt (allerdings extrem ungesund eingezwängt) den Automaten bedienen kann.

Ogawa erzählt die Geschichte des Jungen in einem recht distanzierten Ton, es passieren einige schlimme Dinge, die man fast überlesen kann, so knapp werden sie abgehandelt. Die Perspektive ist immer die des Jungen, aus seiner Sicht werden die Ereignisse eingeordnet, als Leser fällt es schwer, sie in einen realistischen Zusammenhang zu stellen. Die Grenzen zwischen Realität und Traumwelt des Jungen scheinen zu verschwimmen. Klar ist natürlich, dass sich Ogawa beim berühmten „Schachtürken“ bedient, dem Automaten, den Baron Wolfgang von Kempelen Mitte des 18. Jahrhunderts konstruiert hat. Viele Jahre sorgte er für Aufsehen, selbst Friedrich der Große und Napoleon spielten und verloren gegen ihn. Es dauerte bemerkenswert lange, bis enthüllt war, dass selbstverständlich ein kleiner Schachspieler in seinem Inneren versteckt war. Ogawa erwähnt den Schachtürken ausdrücklich – seltsam ist dennoch, dass mehr als 200 Jahre später immer noch Menschen auf den Trick hereinfallen sollen. Offensichtlich ist auch die Anleihe bei der „Blechtrommel“, mit Oskar Matzerath hat der Junge gemeinsam, nicht mehr zu wachsen.

Man muss Ogawas Roman wohl als eher märchenhafte Geschichte lesen, dazu passt das Verhalten der Figuren. Gefördert wird das Märchenhafte dadurch, dass die Figuren keine Namen haben: Es gibt den Jungen, den Großvater, die Großmutter, den Meister, den Generalsekretär, die alte Dame oder die Oberschwester. Und ein Elefant auf dem Dach ist wohl so realistisch, wie ein Schachclub im Untergeschoss eines Hotels, wo zudem einige sehr seltsame Dinge passieren. So betrachtet, könnte Schwimmen mit Elefanten ein recht guter Roman sein, in dem Schach eine herausragende Rolle spielt. Vermutlich ist er es auch, aber mit dem Schach im Buch bin ich nicht wirklich glücklich. Zwar gibt es keine haarsträubenden Fehler. Aber Ogawa verfällt in ein anderes Extrem: Unentwegt beschreibt sie, wie unglaublich schön Schach ist – und fast immer mit derselben Metapher, Schach ist demnach wie ein gewaltiger Ozean voller Untiefen. Und immer wieder wird betont, dass man am Spielstil den Charakter des Spielers erkennen könne. Mag stimmen oder was dran sein – mich hat es angefangen zu nerven.

Ebenso wie die spezielle Sichtweise des Jungen, für den jedes Spiel wie eine Sinfonie ist, er hört die Züge, schwache Züge erzeugen Misstöne, gute klingen zauberhaft. Und immer ist er bemüht, eine für beide Seiten wohlklingende Partie zu erzeugen, er sucht nie den schnellen Sieg, sondern immer den schönsten Zug. Wie Aljechin will er ein Poet am bzw. unter dem Brett sein. Er spielt selbstlos, weshalb alle gern gegen ihn spielen. Die Idee, Parallelen zwischen Schach und Musik zu ziehen, ist alt und interessant – Ogawa überstrapaziert sie allerdings für meinen Geschmack. Weniger wäre mehr gewesen, wie es so heißt. Ich hätte mir abwechslungsreichere Reflexionen über Schach gewünscht, aber vielleicht passte das nicht zur Gedankenwelt des Jungen. Pingelig ist es vermutlich, wenn man bezweifelt, dass jemand hören kann, wohin eine Figur gezogen wird, das gehört wohl auch ins märchenhaft-fantastische.

Schon seltsam, wenn ich an einem Roman kritisiere, dass das Schachspiel zu sehr gefeiert wird. Aber ich könnte auch noch erwähnen, dass die meisten Figuren zu simpel gezeichnet werden, dass sie zu eindimensional sind. Trotzdem ist die Geschichte gut erzählt, der Stil konsequent durchgehalten. Wenn man sich nicht viel mit Schach befasst, mag man die Lobhudelei vielleicht sogar interessant finden, deshalb ist Ogawas Buch unterm Strich wohl ein gutes.

Fabio Stassi: Die letzte Partie, Kein + Aber, 240 Seiten, 9,90 Euro

Romane, in denen Schach eine bedeutende Rolle spielt, sind relativ rar – und unter den wenigen sind die meisten schlecht. Zu den guten gehören natürlich die Schachnovelle, Lushins Verteidigung oder auch Carl Haffners Liebe zum Unentschieden. Und seit kurzer Zeit auch Die letzte Partie von Fabio Stassi. Der beschreibt in seinem kurzen Roman das Leben des großen Schach-Weltmeisters (1911-1927) José Raúl Capablanca. Soweit ich das weiß (und nur kurz überprüft habe), hält sich Stassi weitgehend an die biographischen Daten. Er benennt auch historische Figuren mit ihren richtigen Namen, so ist tatsächlich Capablanca die Hauptfigur, nicht etwa wie bei Carl Haffners Liebe zum Unentschieden, wo der Titelheld für Carl Schlechter steht. Und so tauchen auch Capablancas Frau Olga, Emanuel Lasker (sein Vorgänger auf dem Schachthron), der legendäre Paul Morphy und Alexander Aljechin auf, der ihm die Krone entriss.

Kernthema des Buches ist die anfänglich vermeintliche Freundschaft und spätere tiefe Feindschaft zwischen Capablanca und Aljechin. Jedenfalls beschreibt es Stassi so. Historisch verbürgt ist offenbar, dass Aljechin sich viele Jahre lang weigerte, Capablance eine Revance zu gewähren. Im Roman zerrt dieser Umstand an Capablancas Nerven, den ganzen Rest seines Lebens kann er die Niederlage nicht verwinden, er leidet zunehmend unter Aljechins Weigerung, ihm eine zweite Chance zu gewähren. Das ist alles gut geschrieben, spannend, mit vielen tiefen Einblicken in das Wesen des Schachspiels aus Capablancas Sicht – man merkt, dass Stassi Schach spielt und sich so einige Gedanken über die Klötzchen in ihrer schwarz-weißen Welt gemacht hat. Es fehlt auch nicht an den anscheinend nötigen Frauengeschichten, ein wenig Mystik und einer Prise Kriminalistik. Alle Zutaten für einen gelungenen Roman sind da, Stassi macht seinen Job wirklich gut.

Und doch bin ich am Ende nicht richtig zufrieden. Vielleicht liegt es daran, dass schon wieder ein Schachspieler verklärt wird, dass ein Genie offenbar in einem Roman nicht auskommen kann ohne den Wahnsinn, der ihn stets begleiten und schließlich umfangen muss. Sicher gibt es Beispiele, der gute Morphy, klar, auch der wegweisende Wilhelm Steinitz, und bestimmt noch einige mehr – aber wohl kaum mehr als in allen möglichen anderen Berufen. Menschen, die ein Spiel auf so hohem geistigem Niveau betreiben, verleiten Schriftsteller wohl allzu leicht dazu, auch die Grenzbereiche des Genies zu erkunden. Oder simpler: Ohne Wahn wäre ein Roman über Schachgenies wohl fade (tatsächlich gibt es dafür viel zu viele Beispiele). Interessanterweise soll Aljechin ja Nabokovs Vorbild für Lushin gewesen sein, soweit ich mich erinnere, spielt Capablanca darin aber keine große Rolle. Jedenfalls durchzieht dieses Motiv alle genannten Romane, so dass Signor Stassi sich die Kritik gefallen lassen muss, die Wiederkehr des fast immer Gleichen betrieben zu haben. Aber sieht man darüber hinweg, ist Die letzte Partie ein guter Roman über das Schachspiel – und über einen der größten Meister dieses Spiels, der eine literarische Würdigung allemal verdient hat.

Ronan Bennett: Zugzwang, Bloomsbury, 315 Seiten, 9,90 Euro

Der Zar soll sterben. Eine Gruppe von Terroristen, vermeintlichen polnischen Freiheitskämpfern und der russische Geheimdienst schmieden ein Komplott, um den Monarchen ins Jenseits zu befördern. Eine zentrale Rolle spielt dabei ausgerechnet ein Schachmeister…

Ronan Bennett verwebt seine Story mit dem berühmten Großmeisterturnier 1914 in St. Petersburg. Ob sein Schachmeister Rozental sich an Rubinstein orientiert, ist eigentlich egal. Leibhaftig auftreten dürfen auf jeden Fall Recken wie Lasker und Capablanca – wenn auch nur kurz. Und Bennett baut auch noch eine Schachpartie zwischen zwei Protagonisten ein: Ab und zu taucht mal ein Diagramm auf, das den Fortschritt der Partie zeigt. Eine nette Stellung, die – passend zum Titel des Buches – mit einem „Zugzwang“-Motiv endet.

Ein Schachroman ist das Buch trotzdem nicht. Aber dafür ist er gut geschrieben und spannend, was auch über ein paar platte Szenen hinweghilft. Im vorrevolutionären Russland geht es ordentlich zur Sache, wer Freund, wer Feind ist, ist nicht immer klar zu erkennen, ebenso wenig, wer wen warum ins Jenseits befördert. Aber am Ende löst sich alles zur Zufriedenheit des Lesers auf. Und der Schachspieler freut sich über die kleinen Anleihen aus der Schachwelt. Mit Literatur im Sinne von Nabokov oder Zweig hat das nichts zu tun, aber als gute Unterhaltung, die deutlich aus der Masse der verunglückten „Schachromane“ herausragt, kann man das Buch allemal empfehlen.

Bertina Henrichs: Die Schachspielerin, Hoffmann und Campe, 176 Seiten, 8,99 Euro

Die Schachspielerin – das ist die 42-jährige Eleni, die mit Mann und zwei Kindern auf der griechischen Insel Naxos lebt, und als Zimmermädchen in einem Hotel arbeitet. Ihr schlichtes Leben gerät ins Wanken, als sie eines Tages in einem der Hotelzimmer ein Schachbrett sieht, auf dem noch eine unvollendete Partie aufgebaut ist. Aus Versehen stößt sie eine Figur um, worauf sich nach und nach die aus der Chaostheorie bekannte Erkenntnis bewahrheitet, dass manchmal das kleinste Ereignis gravierende Folgen haben kann.
Auf Eleni übt das Schachspiel eine große Anziehungskraft aus, es verkörpert ein anderes, ein freies Leben in der weiten Welt, die die Bauerntochter nie kennen gelernt hat. Allerdings hat sie keine Ahnung von den Regeln. Mühsam und mit großer Hartnäckigkeit lernt sie sie, mit der Zeit tatkräftig unterstützt von einem ehemaligen Lehrer und dessen Freund.

Eigentlich geht es um Selbstfindung und den Ausbruch aus Konventionen. Eleni muss einige Widerstände überwinden, Freundinnen, Nachbarn und vor allem ihr Mann halten nicht viel von ihrer neuen Leidenschaft, die wenig mit dem zu tun hat, was die Inselbewohner mit einer typischen Frauenrolle verbinden. Die Story wäre zu Ende, wenn sich zeigen würde, dass Elenis Grips nicht über die Gangart der Figuren und vielleicht noch das Schäfermatt hinausreicht. Also offenbart sie ihren staunenden Lehrern bald ein großes Naturtalent, spielt immer besser, schlägt ihre Lehrmeister und darf schließlich an einem Turnier in der großen Stadt Athen teilnehmen, bei dem sie prompt zwar nicht gewinnt, sich aber sehr achtbar schlägt. Was ihre traditionsbewussten Mitmenschen davon halten, soll hier mal nicht verraten werden.

Als Leser bleibt man mit dem Gefühl zurück, ein nettes kleines Büchlein gelesen zu haben. Dass gerade das Schachspiel zum Vehikel für Elenis Selbstbefreiung wird, mag einigermaßen unwahrscheinlich sein, vielleicht wirkt es auch ein wenig  konstruiert. Aber so viele Romane gibt es nicht, in denen Schach eine wichtige Rolle spielt, also wollen wir da als Schachspieler nicht kleinlich sein. Abgesehen davon: Natürlich trauen wir Schach zu, die Welt zum Besseren verändern zu können, irgendwie, die kleine Welt eines Zimmermädchens umzukrempeln ist also eigentlich nur ein Klacks für Königs und Co.

David Edmonds, John Eidinow: Wie Bobby Fischer den Kalten Krieg gewann. DVA, 432 Seiten, 22,90 Euro, derzeit nur antiquarisch erhältlich.

Das WM-Match Fischer-Spasski ist bis heute ein legendäres Ereignis. Nie zuvor, und wahrscheinlich auch niemals später, gab es einen Schach-Wettkampf, der so außerordentlich viel Aufsehen erregte. Für ein paar Monate im Jahr 1972 wurde die isländische Hauptstadt Reykjavik zum Mittelpunkt der (Schach-)Welt. Die amerikanischen Journalisten David Edmonds und John Eidinow haben sich das Spektakel noch einmal vorgenommen, und Schritt für Schritt nachgezeichnet, wie es ablief, warum es eine so gewaltige Wirkung hatte. Das ist natürlich für jeden Schachspieler ein interessantes Buch, allein schon deshalb, weil es um den Mythos Bobby Fischer geht. Die Autoren haben mit zahllosen Zeitzeugen in den USA, in Russland, Deutschland und Island gesprochen. Vor allem die russischen Teilnehmer des Spektakels konnten inzwischen, nach dem Ende der Sowjetunion, offener über die Vorgänge Anfang der 70er berichten. Außerdem konnten lange in Moskau unter Verschluss gehaltene Dokumente ausgewertet werden.

Das Buch erzählt neben Biographischem über die Kontrahenten vor allem ihren Weg zur WM: Wie Spasski sich mit einem kleinen Team gegen Widerstände der Partei- und Schachorganisation auf den Kampf vorbereitete, und wie Fischer seine Gegner Taimanow, Petrosian und Larsen vom Brett fegte. Und dann natürlich die endlosen Verhandlungen vor und während der WM. Fischers Eskapaden, die ständige Furcht der Organisatoren, der durchgeknallte Amerikaner könne das Match jederzeit einfach abblasen, und ihre wenig rühmliche Strategie, ihm ohne große Rücksicht auf Spasski praktisch alle Wünsche zu erfüllen. Das kleine Reykjavik brauchte das Ereignis – in Paris oder London hätte man sich die Sondertouren des Schachgenies wahrscheinlich nicht bieten lassen. Deutlich wird dabei Spasskis Fehler, in den ersten Wochen eher gutmütig den Forderungen des Amerikaners zuzustimmen, wodurch er psychologisch in eine defensive, unterlegene Position geriet. So saß Spasski zeitweise auf einem simplen Bürostuhl, der ihm vollauf genügte, während Fischer sich einen edlen Sessel aus den USA hatte einfliegen lassen: Man muss kein Psychologe sein, um sich vorzustellen, dass das irgendwie unbehaglich sein kann – vor allem, wenn man anfängt, Partien zu verlieren.

Spasskis Probleme mit den Funktionären und seine eher laxe Vorbereitung werden ebenso beleuchtet wie Fischers bizarres Beraterteam, deren Mitglieder meist selbst nicht wussten, was Fischer nun genau wollte, und sicherheitshalber lange Forderungslisten vorlegten und endlose Debatten vom Zaun brachen. Heute würde man das Zermürbungstaktik nennen. Die Schachpartien spielen natürlich auch eine Rolle, aber keine übermäßig große: Meist wird nur kurz erläutert, wer warum verloren hat, die Notationen fehlen völlig. Um Analysen geht es auch gar nicht, das Buch soll auch für Leute, die nicht Schach spielen, interessant sein. Und das ist es. Edmonds und Eidinow ist eine gute, streckenweise spannende Darstellung des Schachspektakels gelungen, mit vielen aufschlussreichen Hintergründen, die ein klares Licht auf die handelnden Personen vor und hinter den Kulissen werfen. Der Mythos Fischer wird dabei ein gutes Stück weit entzaubert. Der Mann war ein Genie auf dem Schachbrett, jenseits der 64 Felder aber offensichtlich nicht nur ein Egozentriker, sondern auch psychisch nicht auf der Höhe, was als einzige Erklärung für seine üblen politischen Ansichten herhalten mag. Entschuldigen kann man sie nicht.

Schade ist nur, dass die Schlusspointe fehlt: Das Buch endet mit Fischers Verhaftung in Japan. Dass es ausgerechnet Island ist, das ihm einen Pass und damit eine Zuflucht gibt, wodurch sich der Kreis am Ende wieder schließt, haben die Autoren erst nach Drucklegung des Buches erfahren. In späteren Auflagen sollten sie das nacharbeiten und noch einmal in Reykjavik mit den Menschen reden, die sich 1972 um Bobby Fischer gekümmert haben (ohne je ein Wort des Dankes dafür gehört zu haben) und es heute wahrscheinlich wieder tun. Island scheint Fischer bis heute dankbar dafür zu sein, für kurze Zeit weltweite Aufmerksamkeit erlangt zu haben. Und in der Erinnerung pflegen ja auch die positiven Dinge die negativen zu überlagern. Möglicherweise ist es aber auch so, dass die angeblich so freundlichen Isländer tatsächlich Leidens- und Schmerzgrenzen haben, die weit, sehr weit jenseits des Normalmaßes liegen. Vielleicht liegen Gutmütigkeit und Masochismus aber auch näher beieinander, als man denkt.

S. S. van Dine, Der Mordfall Bischof, Dumont, 287 Seiten, 7,95 Euro, derzeit nur antiquarisch erhältlich.

Der Titel spielt schon auf Schach an, die Kapitel enden stets mit einem schwarzen Läufer und eben diese Figur spielt auch im Roman eine gewisse Rolle, wenngleich keine entscheidende. Hinzu kommt natürlich das Cover, das einen offenbar von einem Läufer gemeuchelten König zeigt, Blutlache inklusive.

Aber während solche Indizien sonst eher darauf hindeuten, dass hier jemand irgendeinen hohlen Mist zu einem Krimi zusammengeschmiert hat, haben wir es diesmal wirklich mit einem soliden Detektiv-Roman zu tun. Eine Mordserie sorgt für Aufsehen, bei der die Opfer stets nach dem Muster bekannter Kinderreime ins Jenseits befördert werden. Zwar ist ein Hauptverdächtiger schnell gefasst, aber dummerweise gehen die Morde weiter – auch das gehört dazu:
Der Detektiv offenbart sein Genie am besten im Gegensatz zur Blödheit der Polizei.

Da außerdem noch ein paar Verdächtige umkommen, reduziert sich die Zahl der möglichen Täter immer mehr… Hätte das Buch noch ein paar Seiten mehr, hätte sich der Fall möglicherweise von alleine geklärt.

Ich gebe es zu: Mir liegen solche Romane nicht. Ich hab es mit John Dickson Carr versucht und natürlich auch mit dem großen Sherlock Holmes. Das liest sich so ganz nett, die Story ist irgendwie auch in Ordnung, aber Spaß macht das nicht, dem Oberschlauen beim Kombinieren zuzugucken. Aber wer die Herren Carr und Holmes mag, der wird auch dieses Buch von van Dine sicher gut finden.

Robert Löhr, Der Schachautomat, Piper-Verlag, 407 Seiten, 19,90 Euro, derzeit nur antiquarisch erhältlich.

Mal wieder ein Roman, in dem der legendäre „Türke“, der Schachautomat Wolfgang von Kempelens, eine zentrale Rolle spielt. Wir hatten ja schon „Schach dem Kaiser“, in dem es das mechanische Meisterstück aus dem 18. Jahrhundert mit Napoleon zu tun bekam. Doch im Gegensatz zu jenem traurigen Buch ist Robert Löhr ein leidlich unterhaltsamer historischer Roman gelungen. Mehr Lob ist eigentlich nicht drin.

Löhr beschreibt, wie Kempelen mit einem Gehilfen den Automaten baut, sich einen Schach spielenden Zwerg sucht, um ihn darin zu verstecken, und bravourös seinen Auftritt vor der österreichischen Kaiserin bewältigt. Doch offenbar überraschend besteht die mächtige Dame dann darauf, dass der Türke noch oft auftreten möge, am besten den Ruhm Österreich-Ungarns in ganz Europa verbreite. Damit geht der Ärger los. Es gibt Neider, eine Spionin, verschmähte Liebhaberinnen, stolze Husaren und den Zusammenprall eines Freigeistes (Kempelen), eines Juden (der Gehilfe) und eines gläubigen Katholiken (der Zwerg). Und ein paar Tote.
Und das alles vor dem historischen Hintergrund des späten 18. Jahrhunderts.

Die Story plätschert so vor sich hin, ab und zu sieht sich Löhr aber doch genötigt, sie mit ein paar unsinnigen Sexszenen zu würzen. Kann ja nicht schaden, oder jedenfalls nicht viel. Ärgerlicher ist, dass die Charaktere nicht sonderlich überzeugend sind: Der religiös-eifernde Zwerg, der leider ab und zu aus Versehen mal jemanden um die Ecke bringt, darob untröstlich ist, aber auch nicht so, dass er sich der Justiz (oder der Kirche) stellen würde, ist einer davon. Oder die Hure, die sich für Geld zum spionieren verleiten lässt, dann aber doch irgendwie geläutert wird, weil der Zwerg sie rührt.

Oder Kempelen, anfangs ganz der moderne untadelige Gentleman, der gern ein wenig bastelt, dann plötzlich der ruhmsüchtige Eiferer, und schließlich der Mann, der zur Not auch locker über ein paar Leichen geht. Von dem tumben Husaren ganz zu schweigen. Da knirscht es dann doch ab und zu kräftig im Getriebe der Geschichte, die ein wenig zu konstruiert wirkt.

Na ja. Lesen kann man das alles irgendwie, wenn man keine besonderen Ansprüche stellt. Dieses Buch fällt mal wieder in die Kategorie: Muss man sich nicht kaufen, kann man sich aber ganz gut schenken lassen.

Icchokas Meras, Remis für Sekunden, Aufbau-Verlag, 159 Seiten, 6,50 Euro, derzeit nur antiquarisch erhältlich.

Das Motiv ist reichlich alt: Ein Schachspiel um Leben und Tod unschuldiger Menschen. Auch den Ort des Geschehens kennt man schon so ähnlich: Bei Paolo Maurensigs Die Lüneburg-Variante ist es ein KZ, bei Icchokas Meras Roman „Remis für Sekunden“ ist es ein jüdisches Ghetto. In beiden Fällen spielt ein Gefangener gegen den Kommandanten. Wobei das Buch von Meras bereits 1963 erschienen ist, Maurensig schrieb seins erst Anfang der 90er. Und: Meras ist deutlich besser.

Über die Geschichte des Schachspiels und der beiden Spieler hinaus ist es die Geschichte vom Leben im Ghetto und die Geschichte einer Familie in diesem Ghetto. Dadurch erhält der Roman viele Facetten, mehrere Handlungsstränge laufen parallel und werden aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Die simple Grundidee des Schachspiels gibt eine Struktur vor, bleibt jedoch erfreulicherweise nur für eine der Geschichten entscheidend. Aus irgendeinem Grund, bevor ich mehr als den Titel kannte, habe ich lange gedacht, das Buch sei einfach nur schlecht. Das ist nicht wahr. Es ist ein guter Roman, wenngleich er nicht an das Niveau eines Zweig oder gar eines Nabokov heranreicht. Ein Tipp: Meines Wissens ist das Buch im „normalen“ Buchhandel nicht lieferbar. Ich habe es über Amazon bekommen, da scheint es noch Lagerbestände zu geben.

Emanuel Lasker, Wie Wanja Meister wurde, Exzelsior Verlag, 16 Euro, derzeit nur antiquarisch erhältlich.

Eine Erzählung aus der Schachwelt, heißt es im Untertitel. Ein Buch vom großen Weltmeister! Geschrieben 1937 im Moskauer Exil und rund 60 Jahre später erstmals im deutschen Original veröffentlicht. Na, wenn das kein Leckerbissen für schachspielende Leser ist! Ist es nicht. Oder sagen wir mal so: Als Erzählung, aus literarischer Sicht betrachtet, ist das Büchlein ziemlich schwach. Aber als Dokument, das einen Einblick in das Leben und die Gedankenwelt Laskers Ende der 30er Jahre gibt, ist es ganz ausgezeichnet.

Lasker erzählt die Geschichte Wanjas, der sich vom ungeduldigen jungen Pionier zum wackeren Meister entwickelt. Als einer von vier Schachfreunden zeigt er früh sein großes Talent, wird behutsam von seinem alten Mentor (indem unschwer Lasker selbst zu erkennen ist) gefördert, vervollkommnet sich auf ausgedehnten Reisen nach Europa und in die USA, und greift am Ende gar nach der Schachkrone. Lasker berichtet offensichtlich von seinen eigenen Erfahrungen in der Schachwelt, von ahnungslosen und korrupten Journalisten, verbohrten Funktionären, eingebildeten Sponsoren und neidvollen Schachmeistern, den ihr eigener Vorteil wichtiger als das Wohl des königlichen Spiels ist. Sogar Tarrasch kommt anonym vor: In der Person eines theoriewütigen Konkurrenten Wanjas, der diesem seinen Erfolg zunächst missgönnt, ihn später aber nach Kräften bejubelt – ganz wie einst der große Tarrasch. Das macht das Buch interessant: Laskers Einblicke in die Schachwelt seiner Zeit, sein Kampf für neue Ideen und sein Protest gegen die üble finanzielle Lage der Schachmeister – für uns Normalspieler erfreulich ist, dass Laskers Forderung, Schachmeistern das Copyright auf ihre Partien zuzugestehen, nie umgesetzt wurde. Leider wird die Freude arg getrübt durch die holzschnittartig gezeichnete Figuren, was sich sogar in der Namensgebung zeigt: Da gibt es den Journalisten Quick, den Großmeister Big, den gerechten Mäzen Judge, den reichen Rich, den kleingeistigen Petit….Gut und Böse sind leicht unterscheidbar.

Ebenso wird recht deutlich, dass in der Sowjetunion irgendwie fast alles besser ist als im Westen. Das muss man natürlich historisch verstehen, auf der Flucht vor den Nazis war Lasker der stalinistischen Sowjetunion, in der Schach tatsächlich musterhaft gefördert wurde, selbstredend dankbar. Ihm dürfte auch klar gewesen sein, dass kritische Bemerkungen die Veröffentlichung des Buchs nicht unbedingt fördern würden. Deshalb muss man großzügig über die allzu platten Lobhudeleien hinwegsehen. Immerhin: Stalin wird nicht lobend erwähnt, sondern konsequent totgeschwiegen. Nicht zufällig setzt Lasker seine Flucht in November 1937, zwei Monate nach Abschluss des Wanja-Manuskripts, fort, indem er in die USA reist. Das hatte zur Folge, dass die Veröffentlichung bis 1973 (!), damals auf russisch, auf sich warten ließ.

Lasker hat auch ein paar Stellungen und Partien eingebaut, was für uns Schacher ganz unterhaltsam ist. Doch wie man nun Meister wird, erfährt man leider mitnichten. Klar wird: Nicht Buchwissen und billige Fallen machen den Meister, sondern kreatives Denken und das tiefe Verstehen der Dynamik und der Prinzipien des Schachs. So weit so klar so unverstehbar.

Also: Literarisch schlecht, schachhistorisch sehr gut. Außerdem hat Michael Dreyer ein ausgezeichnetes Nachwort geschrieben.

Tom Standage, Der Türke, Campus-Verlag, 224 Seiten, 21,50 Euro, derzeit nur antiquarisch erhältlich.

Das ist mal ein spannendes Schach-Buch. Standage erzählt die außergewöhnliche Geschichte des „Türken“, des ersten Schachautomaten. Den kennt mittlerweile ja wohl jeder aktive Schachfreund und natürlich weiß man, dass in dem Kasten ein Mensch versteckt war oder versteckt gewesen sein muss, denn nur Computer können ordentlich Schach spielen und die gab es Ende des 18. Jahrhunderts bekanntlich nicht. Aber geradezu unglaublich ist, dass die Zeitgenossen des „Türken“ jahrzehntelang rätselten, wie er denn nun funktionierte, nicht wenige hielten es schlicht für ein mechanisches Wunderwerk und seinen Erbauer, den Herrn von Kempelen, für ein Genie. Das war er auch: Als Mechaniker und Entertainer. Denn der „Türke“ war undurchschaubar wegen seiner technischen Raffinesse und seiner ausgeklügelten Präsentation – Siegfried und Roy sind in gewisser Weise die direkten Nachfahren von Kempelens.

Standage beschreibt den Lebens- und Leidensweg des „Türken“, seine großen Kämpfe gegen Benjamin Franklin, Napoleon und Katharina die Große, die ständigen Versuche, seinen Mechanismus zu durchdringen und die erfolgreichen Gegenmaßnahmen seiner wechselnden Besitzer. Das ist das Erstaunlich: Offenbar hat nie einer der beteiligten Personen, zum Beispiel die Schachmeister im Innern des Kastens, das Geheimnis einfach mal ausgeplaudert. Wer es wusste, hielt dicht. Selbst große Geister wie Edgar Allan Poe versuchten sich an Erklärungen – er kam dicht dran, die letzte Enthüllung gelang aber auch ihm nicht. Über den „Türken“ hinaus, der 1854 bei einem Feuer verbrannte, gibt Standage interessante Einblicke in die Entwicklung der ersten Automaten und schlägt einen klugen Bogen bis zu Deep Blue. Das letzte Kapitel, das sich mit den ersten Schachprogrammen befasst, ist leider nur kurz, aber absolut lesenswert.

Ein wirklich tolles Buch. Aber auch hier gibt es ein paar Abstriche: Zunächst einige Druckfehler zu viel, dann hätte ich mir noch ein mehr historische Bilder gewünscht und schließlich wäre es ein dem Wirken des „Türken“ angemessener Schluss gewesen, wenn Standage im Anhang sagen wir mal so zehn Partien (überliefert sind noch mehr) des automatischen Meisters abgedruckt hätte. Tatsächlich wird keine einzige Partie gedruckt – schade.

Colleen Schafroth: Schach. Eine Kulturgeschichte, Knesebeck-Verlag, 169 Seiten, 49,80 Euro, derzeit nur antiquarisch erhältlich.

Mal wieder ein schöner Bildband. Die Autorin beschreibt allerdings nicht die Kulturgeschichte des Schachspiel, sondern vielmehr die der Schachfiguren. Sie ist Direktorin des Maryhill Museum of Art in Goldendale (Washington), weshalb ihr Interesse in erster Linie dem sich wandelnden Design der Figuren gilt. Das ist alles recht interessant: Wie die bei Indern und Persern zunächst gegenständlichen Figuren (d.h. es wurden z. B. Tiere konkret nachgebildet) bei den Arabern immer abstrakter wurden, bevor die Europäer ihnen wieder erkennbare Formen gaben. Wie sich die Bezeichnungen der Figuren änderten, warum der Turm bei uns als Turm, in Russland aber oft als Schiff dargestellt wurde. Oder warum welche Materialien verwendet wurden und welche herausragenden Stilrichtungen es gab, bis der universelle Staunton-Stil gefunden wurde, der bis heute die Schachfigurenwelt beherrscht. So nebenbei erfährt man noch allerlei über das Misstrauen der Kirchen gegen das Schach, über die Verbreitungswege, erste Schachbücher, die Bedeutung des Schachs bei den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und die Veränderung der Spielregeln, die das Schach immer mehr beschleunigten. Diese, für eine Kulturgeschichte z. T. besonders interessanten Aspekte, kommen in dem Buch allerdings recht knapp daher. Überhaupt bleibt der Text an vielen Stellen an der Oberfläche, manche Passagen wiederholen sich auch das eine oder andere Mal. Aber vollauf entschädigt wird man dafür durch die vielen, vielen schönen Bilder von Schachfiguren aus aller Welt.

Stephen L. Carter: Schachmatt. List-Verlag, 8,95 Euro, 864 Seiten

Schwarz-weißes Cover, vorne zwei Bauern drauf und dann noch der Titel: „Schachmatt“ – na, das muss doch was für lesefreudige Schacher sein. Endlich mal wieder ein Schach-Roman. Tja, stimmt leider nicht. Ich hab keine Ahnung, was den deutschen Verlag bewogen hat, diesen Titel zu nehmen, im amerikanischen Original heißt das Buch The Emperor of Ocean Park. Tatsächlich hat es kaum was mit Schach zu tun.

Ein schachspielender Richter stirbt, hinterlässt mysteriöse „Vorkehrungen“, die man offenbar nur findet, wenn man was von Schachproblemen versteht. Gut, dass der Sohnemann dafür der richtige zu sein scheint. Schlecht, dass neben dem FBI auch ganz, ganz dubiose Gestalten hinter den „Vorkehrungen“ her sind, fiese Typen, die auch gern mal jemanden um die Ecke bringen… Junior spielt nicht nur Schach, sondern ist auch Juraprofessor und mit einer tollen Anwältin verheiratet, die Karriere machen will. Und schwarz ist er auch. Damit haben wir also einen Roman, der im Juristen-Milieu spielt und eine in den USA offenbar wenig beachtete Bevölkerungsgruppe in den Vordergrund rückt: die schwarze Mittelschicht. Das ist das Interessante an dem Roman, er gewährt Einblicke in das Denken und Leben dieser gesellschaftlichen Gruppe.

Ansonsten gibt es noch eine öde Beziehungsgeschichte, nämlich die, wie die Ehe des Ich-Erzählers in die Binsen geht – da fragt man sich dauernd: Warum reden diese Menschen nicht miteinander? Und natürlich die Haupthandlung, die darin besteht, dass der Professor ahnungslos durch die Gegend tapst, rumrät und ständig wieder praktisch von vorne anfangen muss, bis ihm endlich Stück für Stück ein paar Dinge klar werden. Langatmig ist das, statt über 800 hätten es auch 400 Seiten getan. Zumal man die finsteren Gesellen aus „Die Firma“ (den Film mit Tom Cruise hab ich gesehen, das Buch mochte ich weder vorher noch nachher anfassen) und Krimis der 40er Jahre kennt. Und der Showdown besticht auch nicht gerade durch Plausibilität…

Was mich aber besonders störte – das ist natürlich Ansichtssache – ist der Geist des Konservatismus, der mich immer mal wieder streifte und furchtbar erschauern ließ. Also ne, das war ne Enttäuschung. Aber halt: Ich kenne mindestens einen Schacher, der von dem Buch ganz begeistert war! Es könnte daher sein, dass Mr. Carter mich einfach auf dem falschen Fuß erwischt hat, so was kommt schon mal vor (Ecos „Foucaultsche Pendel“ fand ich auch doof, obwohl es gut sein soll…).

Thomas Glavinic: Carl Haffners Liebe zum Unentschieden, dtv, 9,90 Euro.

Die Geschichte des Schachmeisters Carl Schlechter rund um seinen WM-Kampf gegen Emanuel Lasker im Jahre 1910. Ein ausgezeichnetes Buch – der einzige Roman, in dem Schach realistisch dargestellt wird. Sehr spannend schildert Glavinic den Wettkampf, sehr eindringlich die beteiligten Meister am und rund um das Brett. Ab und an schießt er ein wenig übers Ziel hinaus – etwa bei den zu häufigen Wiederholungen in Bezug auf Schlechters Bescheidenheit -, doch das trübt die Freude an dem Buch nur unwesentlich. Glavinic, 26 Jahre alt, ist selbst ein guter Schachspieler und versteht sich auf die manchmal etwas absonderlichen Personen, die die Schachwelt bevölkern. Er erzählt geradeheraus, ohne viele pseudogeistreiche Schnörkel, die an sich spannende Geschichte eines großen Kampfes und eines tragischen Meisters.

Patrick Süskind: Drei Geschichten, Diogenes, 129 Seiten, 2,50 Euro, antiquarisch oder als Teil von „Drei Geschichten und eine Betrachtung“, 8 Euro.

Bei Büchern von Patrick Süskind darf man ruhig mal einen Moment verweilen und etwas näher hinschauen – auch wenn es eher ein Büchlein denn ein richtiges Buch ist. „Drei Geschichten“ steht auf dem Rücken des Miniaturbandes aus dem Hause Diogenes, doch was den Schacher anlockt ist der Springer auf der Vorderseite. Und tatsächlich: Eine der drei kurzen Geschichten dreht sich um eine Schachpartie zwischen einem älteren, eher unsympathischen aber grundsolide meisterlichen Schachspieler und einem jugendlichen Spieler voller Esprit, der im Stile Tals zu Werke zu gehen scheint. Was dort in einem Park, umlagert von Kiebitzen, auf und rund um das Brett passiert, ist gut erzählt und fein beobachtet – und die angemessene Pointe fehlt auch nicht. Nur leider viel zu kurz.

Manfred Korth: Gardez! Roman um einen Schachbesessenen, Frieling-Verlag, 144 Seiten, 8,50 Euro, nur noch antiquarisch erhältlich.

Fängt erst ganz ordentlich an, weil der Autor Schach einigermaßen realistisch beschreibt. Doch allzu schnell gerät die eigentliche „Handlung“ in den Vordergrund, die so bekloppt ist, dass man sich ständig fragt: Warum nur lese ich weiter, warum nur? Ganz furchtbar. Der IM, um den es hier geht, vergreift sich erst an einer Dame, kommt damit durch, lernt eine neue Dame kennen, langweilt uns mit Szenen einer dümmlichen Beziehung, verliert seine Dame, kommt damit zu unrecht nicht durch und lernt am Schluss noch eine Dame kennen. Ich finde, Schach hat solche Romane nicht verdient – oder doch?

Jacques Hannak: Wilhelm Steinitz. Der Michelangelo des Schachspiels, Edition Olms, 19 Euro, nur noch antiquarisch erhältlich.

Steinitz ist bekanntlich der Begründer des modernen Schachspiels, deshalb verspricht eine Biographie über ihn eine spannende Lektüre zu werden. Nur gesteht Hannak gleich zu Anfang des Buches, dass er über Steinitz so gut wie nichts wisse – und darunter leidet das Werk ungemein. Steinitz erscheint als Künstler und Kotzbrocken: Rechthaberisch, aufbrausend, großspurig und voller Wut auf jeden, der es wagt, seine bahnbrechenden Ideen zu bezweifeln. Seine Polemiken pflegen diffamierend zu sein, er versteht es, selbst Freunde gegen sich aufzubringen. Wären da nicht diverse Siege gewesen, man hätte den Mann wahrscheinlich von allen Turnieren ausgeschlossen. Soweit so interessant. Viel mehr bringt Hannak leider nicht: Er zählt Steinitzens Turniere auf und beschreibt blumig dessen Ergebnisse. Dazwischen ergötzt er sich elend lang an dem banalen Gedanken aus dem Reich des kruden Materialismus, dass alle Entwicklungsphasen des Schachspiels letztlich direkt von der jeweiligen gesellschaftlichen Situation abhängen. Nach 80 Seiten fällt ihm dann auch nichts mehr ein, weshalb er Steinitzens Erben von Marco bis Lasker verwurstelt. Er hätte lieber 50 Partien von Steinitz anhängen sollen, doch im Buch findet sich nicht eine. Dieses Buch ist nur unentwegten Schach-Enthusiasten und unbedingten Steinitz-Fans zu empfehlen.

Wolfram Runkel: Schach. Geschichte und Geschichten, Wunderlich-Verlag, 20 Euro, derzeit nur antiquarisch erhältlich.

Eine Geschichte des Schachspiels in kurzen Episoden. Nach jedem Abschnitt fügt Runkel eine seiner Reportagen aus der Schachwelt ein, die er für die “Zeit” geschrieben hat. Die sind oft noch interessanter als die eigentliche Historie des königlichen Spiels. Ein ungemein unterhaltsames und interessantes Buch, das zudem viele der schönsten und besten Partien der Schachwelt enthält. Eigentlich das ideale Geschenk für jeden Schachfreund – keine dröge Theorie, kein anspruchsvoller Roman, sondern einfach viele schöne Geschichten rund ums Schach.

Paolo Maurensig: Die Lüneburg-Variante, Insel-Verlag, 18 Euro, nur noch antiquarisch erhältlich.

Kein Thriller, wie der Klappentext zu versprechen scheint, aber trotzdem sehr spannend. Eine ungewöhnliche Schachpartie zwischen einem ehemaligen KZ-Lagerkommandanten und einem ehemaligen jüdischen KZ-Häftling bildet den Hintergrund des Romans. Im KZ spielten die beiden um das Leben anderer Häftlinge, nach dem Krieg will der Ex-Häftling den Kommandanten aufspüren, indem er einen jungen Meister ausbildet, der auf Turnieren stets eine bestimmte Variante spielt, auf die der Nazi – inzwischen Geschäftsmann und Schachmeister – irgendwann aufmerksam werden muss. Es ist eben die Variante, die im KZ immer wieder aufs Brett kam. Der talentierte junge Meister wird so zu einer Figur in einem lang vorbereiteten Mattangriff mit Todesfolge im wirklichen Leben. Nicht unbedingt ein genialer Roman, aber in Italien war er zu recht ein Bestseller und für ein paar aufregende Ferientage ist er allemal gut.

Vladimir Nabokov: Lushins Verteidigung, Rowohlt, 9,99 Euro.

Ein unbedingtes Muss für jeden Schachspieler! Ein hervorragender Roman (zehn Jahre vor Stefan Zweigs Schachnovelle geschrieben) über einen völlig auf das Schach fixierten Meister, der von seinem Mentor durch halb Europa von Turnier zu Turnier geschleppt wird, bis er zum Anwärter auf den WM-Titel avanciert. Doch Lushin verliert bei seiner Schach-Versessenheit zunehmend die Realitätskontrolle, bis seine ganze Welt von seiner letzten, abgebrochenen Partie gegen seinen Erzfeind beherrscht wird. Ständig wartet er auf den entscheidenden Zug, der ihm den vermeintlich teuflischen Plan seines Gegners verrät. Alles, was um ihn herum passiert, scheint im Zusammenhang mit der Partie zu stehen. Es heißt, Nabokov habe als Vorbild für Lushin den großen Aljechin genommen, aber das ist nicht verbürgt. Ein Meisterwerk! Wer gern mal ein gutes Buch liest und außerdem Schach spielt, sollte es auf keinen Fall versäumen.

Helmut Pfleger/Gert Treppner: Brett vorm Kopf. Leben und Züge der Schachweltmeister, Beck-Verlag, 11 Euro, nur noch antiquarisch.

Das Buch stellt in kurzweiligen Porträts die Weltmeister von den arabischen Anfängen bis Kasparow vor. Den Autoren kam es darauf an, die Stars zwischen Genie und Klapsmühle grob zu charakterisieren, ihre hervorstechendsten Eigenschaften zu bestimmen und ihre größten Leistungen zusammenzufassen. Ein unterhaltsames, mit nur wenigen, auch für Laien verständlich kommentierten Partien gespicktes Buch. Dass man als Vereinsspieler manche Anekdoten schon irgendwoher kennt, schadet wenig.

Arturo Pérez-Reverte: Das Geheimnis der schwarzen Dame, Rowohlt-TB, 9,99 Euro.

Ein altes Gemälde zeigt zwei Ritter bei einer Schachpartie. Unter Röntgenstrahlen entdeckt eine junge Restauratorin eine Inschrift: “Wer tötete den Ritter?” Was heißt das: Wer schlug den Springer (englisch: “knight”, also Ritter) oder wer ermordete den Edelmann, der seinerzeit tatsächlich unter mysteriösen Umständen ins Gras biss? Gibt das Schachspiel einen entscheidenden Hinweis, den der Maler dann doch lieber nicht zu deutlich betonen wollte? Ein paar Morde unter Leuten, die mit dem Bild zu tun haben, verspricht eine spannende Story um jahrhundertealte Komplotte. Doch das Buch ist ziemlich schlapp: Dümmliche Charaktere, ein pseudogeistreicher Schachmeister und ein unbefriedigender Schluss. Kein Buch für Schachspieler, wohl aber für Laien, die möglichst wenig Ahnung vom Schach haben sollten. Unter dem Titel “Geheimnisse” wurde das Buch sogar verfilmt – der Film ist noch schlechter als das Buch.

Waldemar Lysiak: Schach dem Kaiser, Hoffman und Campe, ca. 22 Euro, nur noch antiquarisch.

Der Umschlag täuscht: Man sieht den “Türken”, den berühmten Schachautomaten des Barons von Kempelen, liest was von einem historischen Roman und freut sich auf einen Schachroman. Ist es aber nicht. Sondern nur ein öder, schlecht geschriebener historischer Roman mit schwachsinnigen Charakteren.

Stefan Zweig: Die Schachnovelle, Fischer-TB, 5,95 Euro.

Neben Nabokos „Lushins Verteidigung” (siehe oben) ist die Schachnovelle wohl das beste literarische Werk, in dem Schach eine besondere Rolle spielt. Auf einem Passagierdampfer kommt es zum Spiel des amtierenden Weltmeisters (ein dumpfer Grobian) gegen einen Mann, der sich als Gefangener in einem kleinen Zimmer mit einem Schachbuch gegen die perfide Zermürbungstaktik der Nazis gewehrt hatte. Ohne Brett und Figuren spielte er die Partien aus dem Buch im Kopf nach. So lange, bis er alle 150 auswendig konnte, die Züge verstanden hatte und begann, im Kopf gegen sich selbst zu spielen – was schließlich zu einem Nervenzusammenbruch und letztlich zu seiner Entlassung aus der Haft führte. Auf dem Dampfer sitzt er zum ersten Mal an einem richtigen Brett: Er gewinnt die erste Partie, doch in der zweiten befällt ihn wieder das “Nervenfieber”, Wahn und Wirklichkeit geraten durcheinander und im letzten Moment bricht er die Partie ab. Die 1941 im Exil geschriebene Novelle ist nicht nur ein literarisches Meisterwerk, sondern natürlich auch eine Anklage gegen den Nationalsozialismus. Letztlich sitzen sich der Vertreter des zivilisierten Abendlandes, des Bürgertums, und die rohe Gewalt gegenüber, die letztlich obsiegt.

Roswin Finkenzeller, Kleine Philosophie der Passionen: Schach, dtv, 124 Seiten, 7,50 Euro, nur noch antiquarisch.

Hochtrabender Titel, doch bereits das erste Kapitel holt den Leser abrupt in die so genannte Realität zurück. Denn Herr Finkenzeller konnte der Versuchung natürlich nicht widerstehen, just mit dem abgenudelten Bild des dümmlichen Frauchens zu beginnen, das auf Figuren und Schachclub ihres Freundes eifersüchtig ist – bis sie einsieht, dass Schach ja eigentlich doch gar nicht soo doof ist. Es fängt schwach an und steigert sich leider nur mäßig. Zu vielen bekannten Themen fällt dem Autor etwas ein: der „typische“ Schachspieler, die Schachsprache, der Schachklub, Gewinntipps, Computer, Schrullen und auch an die Frauen denkt er immer mal wieder. Doch was er uns zu sagen hat, ist reichlich banal. Zwar fehlt es hier und da nicht an einem gescheiten Gedanken. Insgesamt hangelt sich der gute Mann jedoch nur durch ein wackeliges Gerüst von Wortspielen, uralten Anekdoten und allgemeinen Betrachtungen. Statt über das Schach zu philosophieren, verbreitet er Weisheiten, die mit Schach genau so viel oder wenig zu tun haben wie mit Backgammon, Skat oder Fußball. Da auch der Stil rasch die Nerven strapaziert, lautet hier das Fazit: Auf dieses Buch können wir verzichten.

David Hood, Schach und Matt, Knaur, 394 Seiten, 7,50 Euro, nur noch antiquarisch.

Der Klappentext verspricht „ein Spannungsvergnügen der besonderen Art”. Da weiß man eigentlich gleich, dass man sein Geld sparen sollte… Also: Es gibt da einen genialen, aber natürlich sozial gestörten jungen Schachspieler namens John. Der hat einen Opa, der vor 50 Jahren Physiker in Cambridge war und im Zweiten Weltkrieg keine Atombombe für die Briten oder sonstwen bauen wollte. Aus religiösen Gründen oder so. Stattdessen entdeckt er die Kernfusion, die alle Energieprobleme der Menschheit lösen würde. Das mag er aber auch keinem sagen, weil das den Kriegsausgang beeinflussen könnte. Leider wissen ein paar Leute, was er weiß – deshalb machen ein paar Agenten ein bisschen Spektakel. Der Physiker flieht auf eine einsame Insel und kehrt erst in den 90ern zurück in die Welt. Die wird heute bekanntlich von japanischen Konzernen und korrupten Politikern beherrscht, die sich brennend für das Wissen des immer noch schweigsamen Ex-Wissenschaftlers interessieren. Und der gestörte Schachspieler will endlich einen Opa haben. Ach ja, eine tolle Frau, die sich aus unerfindlichen Gründen nachgerade leidenschaftlich für den Blödmann interessiert, gibt es natürlich auch noch. Das rührt der britische Autor David Hood kräftig zusammen, gibt noch zwei Vater-Sohn-Konflikte dazu und schmiert einen „Thriller“ zusammen, der den Leser wirklich traurig macht. Nun gibt es endlich mal einen Krimi, der mit Schach zu tun hat – und dann hat er doch gar nichts mit Schach zu tun. Was bleibt ist ein schwacher, literarisch sowieso wertloser Krimi.

Roswin Finkenzeller, Wilhelm Ziehr, Emil Bührer: Schach, 2000 Jahre: Das Spiel, die Geschichte, die Meisterpartien, Parkland-Verlag, 208 Seiten, 20 Euro, nur noch antiquarisch.

Ein wirklich nettes Buch! Der erste Eindruck: Ein großformatiger Band mit vielen, vielen schönen Schachmotiven. Da gibt es historische und halbwegs moderne Schachszenen (Fotos und Gemälde), künstlerisch mehr oder weniger wertvolle Schachölbilder, Skulpturen und zahllose Abbildungen verschiedenster Schachfiguren. Alle zusammen illustrieren eine Geschichte des Schachs von den Anfängen in Indien und im Orient bis zu Kasparow. Dabei verfolgen die Autoren Schritt für Schritt, wie sich Regeln und Figuren verändert haben. Hinzu kommen Streifzüge durch das chinesische Schach und kleinere Episoden über Schachcomputer und Frauen am Brett. Die Texte sind kurzweilig geschrieben und voller Anekdoten und heiterer Sprüche großer Meister. Letztlich ist das Buch aber ohnehin eher ein Prachtband zum Gucken als zum zeilenweise Lesen. Das Bild auf der letzten Umschlagseite ist identisch mit dem auf der ersten – nur falsch herum gedruckt. Das dürfte der Grund sein, warum das Buch statt der ursprünglichen 75 Mark nur noch 39,80 Mark (im Schachversand) kostet.

Ernst Strouhal: Schach. Die Kunst des Schachspiels, Nikol-Verlag, 462 Seiten, nur noch antiquarisch.

Der Autor erzählt die Geschichte des Schachs in Episoden vor dem Hintergrund der Partie Rubinstein gegen Grünfeld aus dem Jahr 1929. Während man sich durch die Geschichte liest, kann man auf fast jeder Seite am Rand den Fortgang der Partie verfolgen. Rubinsteins Leben steht auch sonst sehr im Mittelpunkt des Buches. Der zweite Teil ist ein Bildatlas, der neben vielen historischen Drucken eine Bildergalerie enthält, die die Entwicklung der Schachfiguren nachvollzieht. Der dritte Teil umfasst gut 100 Partien zum Nachspielen. Viel von Rubinstein, aber auch ein Streifzug von den Anfängen bis Deep Blue. Ein schöner Band zum Schmökern.

Karl. Das kulturelle Schachmagazin, 5 Euro.

Die „Rochade“ ist die „Bild“-Zeitung unter den Schachzeitungen, sagen manche Leute. Richtig ist auf jeden Fall, dass das Erscheinungsbild eine Katastrophe ist – Texte, die man mit der Lupe lesen muss und Bilder, die einem Fotografen die Tränen in die Augen treiben. Man muss sich das nicht antun, aber unglücklicherweise hat ja nur die „Rochade“ den Regionalteil mit Turnierausschreibungen und Ergebnisdienst… Die Zeitschrift „mit Anspruch und Tradition“, nämlich „Schach“, glänzt dagegen mit ausführlichen Turnierberichten und Hintergrundgeschichten. Dazwischen gibt es noch einen Haufen anderer Blätter und eine Marktlücke: Eine Schachzeitung, die sich nicht um Turniere und Eröffnungsvarianten schert, sondern Schach als kulturelles Phänomen begreift.

Jetzt gibt es „Karl“. „Karl“ war die Vereinszeitung der Schachfreunde Schöneck, hat sich mittlerweile aber zu einer überregionalen Zeitschrift entwickelt. Sie erscheint vierteljährlich und kostet 5 Euro. Jedes Heft widmet sich einem Leitthema: Zum Beispiel gab es im Heft über „Tempo“ einen Bericht über die Entwicklung der Schachuhren und ihren Einsatz bei Turnieren, die Änderungen der Bedenkzeitregeln oder einen Erfahrungsbericht von einem Turnier, bei dem die neue FIDE-Bedenkzeit ausprobiert wurde. Hinzu kommen Texte über das Phänomen Zeitnot oder ein Essay über „Schach im Zeitalter der Ungeduld“. Andere Leitthemen waren das Internet, Wunderkinder oder die Geschichte des Schachs. Kurz: es geht um Schachkultur. Die Qualität der Berichte ist nun nicht so, dass es einen vom Hocker reißt, aber „Karl“ verströmt insgesamt in Texten und Layout eine sehr angenehme Schach-Atmosphäre – nette Geschichten rund ums Schach, die man gerne liest.

Einen ersten Eindruck kann man sich auch im Internet verschaffen: www.karlonline.org

Special: Lewis Chessmen – Kleine Teufel aus dem Reich des Bösen

Gemeine Geister sollten es sein, kleine Teufel oder zumindest finstere Dämonen aus dem Reich des Bösen. Wer sie berührt, dürfte krank werden und möglicherweise sogar sterben. Deshalb ließ der Bauer, der die Figuren im Frühjahr 1831 an der Westküste der Hebriden-Insel Lewis (Schottland) fand, sie liegen und rannte erschrocken nach Hause. Seine Frau war glücklicherweise neugieriger und geschäftstüchtiger: Sie buddelte die Figuren aus dem Sand und verhökerte sie an einen Kaufmann.

So wurden die heute wohl berühmtesten Schachfiguren der Welt entdeckt und gerettet. Jahrhunderte hatten sie unter dem Sand gelegen, der nach und nach vom Meer weggespült worden war. Der Ort ihrer Entstehung ist unklar. Aufgrund kunsthistorischer Vergleiche sind Fachleute jedoch zum dem Schluss gekommen, dass sie in Skandinavien hergestellt worden sein dürften. Dazu passt eine Legende, die man sich um 1860 auf der Insel Lewis erzählte: Demnach soll ein Schäfer eines Morgens einen Matrosen beobachtet haben, der mit einem Sack auf dem Rücken an Land schwamm. Anstatt zu helfen, erschlug der Schäfer den Schiffbrüchigen und raubte den Sack. Doch statt des erhofften Goldes und Silbers fand er nur schnöde Spielfiguren – die er im Sand vergrub, um keine Spuren der grausigen Tat zu hinterlassen. Erst als er einige Jahre später wegen anderer Delikte zum Tode verurteilt worden war, gestand er unter dem Galgen die Tat.

Der Kaufmann verscherbelte die geheimnisvollen Figuren für 30 Pfund an einen Sammler in Edinburgh, der sie am 17. Oktober 1831 dem Britischen Museum für 100 Pfund anbot – zufällig war an dem Tag auch der Schriftsteller Sir Walter Scott im Museum und wurde so einer der ersten Bewunderer der Lewis Chessmen.

Für 80 Pfund übernahm das Museum die 82 Figuren – nicht wissend, dass der Verkäufer bereits elf weitere Figuren in Edinburgh an den Mann gebracht hatte. Heute stehen diese elf im Schottischen Nationalmuseum in Edinburgh – die meisten anderen sind im Britischen Museum im London ausgestellt.

Die Experten entdeckten schnell, wie wertvoll die Schachfiguren tatsächlich waren. Sie stammen aus der Zeit um 1150 und dürften in einer skandinavischen Schnitzer-Werkstatt aus Walross-Stoßzähnen hergestellt worden sein. Sie gehören zu vier bis fünf verschiedenen Sätzen und unterscheiden sich zum Teil deutlich voneinander. Doch alle sind außergewöhnlich kunstvoll geschnitzt.
Für Kunsthistoriker sind die Figuren deshalb besonders wertvoll – sie zeigen den hoch entwickelten Stand des Kunsthandwerks in dieser Epoche. Tatsächlich gibt es aus dieser Zeit noch einige Schachfiguren aus anderen Regionen Europas, die ungewöhnlich schön sind. Doch was die Chessmen so einzigartig macht: Sie sind die einzige Gruppe romanischer Figuren aus dem elften und zwölften Jahrhundert, die zum Vergnügen hergestellt wurden – wahrscheinlich für eine aristokratische Kundschaft.

König und Dame sitzen auf Stühlen, die von hinten aufwendig mit Ornamenten und geometrischen Mustern verziert sind. Kurios sind manche Türme: Die stämmigen Kerle beißen in ihre Schilder – aus Furcht oder um ihren Gegnern zu zeigen, wie brutal sie sind. Tatsächlich ist in nordischen Sagen von Berserkern die Rede, die sich vor Schlachten so grauenvoll in Rage brachten, dass sie vor Wut in ihre Schilder bissen. Andererseits gibt es neben diesen furchterregenden Kriegern einige Figuren, die geradezu niedlich aussehen. So zeichnen sich manche der Damen durch einen kleinen Überbiss aus. Alle pressen ihre rechte Hand an die Wange – vielleicht aus Bestürzung, irgendwie wirkt die Geste jedoch eher humorvoll ironisch. Die Könige blicken bemüht grimmig drein – aber offenbar waren sie die ideale Vorlage für Häger den Schrecklichen. Schachhistorisch bemerkenswert ist, dass die Läufer bereits als Bischöfe dargestellt werden. Die meisten Bauern erscheinen als kleine Obelisken. Einige haben die Form von Grabsteinen und sind schlicht verziert.

Man kann eine Reihe von Nachbildungen der Chessmen kaufen. Manche kosten mit Brett allerdings über 500 Euro und haben dann noch nicht mal das Originalformat, meistens sind sie viel zu klein. Die besten Replikate (mit zehn Zentimetern ist der Springer die höchste Figur) hat das Britische Museum in London herausgebracht. Sie sind wirklich originalgetreu: Wenn dem König oder der Dame ein Zacken in der Krone fehlt, ist dies kein Lieferschaden…

Die halbwegs schweren Figuren kosten ohne Brett 350 Euro (plus Versandkosten) und können auch über das Internet bestellt werden.
Wer mehr Informationen haben möchte, kann sich beim Schottischen Nationalmuseum für rund 17 Pfund eine CD-Rom bestellen (über die Homepage des Museums). Relativ ausführlich sind auch die Ausführungen in Ernst Strouhals Buch “Schach. Die Kunst des Schachspiels”, Nikol-Verlag, (in Hannover z.B. bei 2001 in der Friesenstraße erhältlich).