Einfallsloser Kommerz oder kluges Marketing (Salamitaktik)?

Seit Mitte der 80er ist das Zusammenspiel von Schach und Computern revolutioniert. ChessBase sei Dank gibt es Möglichkeiten, Partien nachzuspielen, sich auf des Gegners Spiel vorzubereiten und aus den Ideen der kleinen und großen Meister zu schöpfen. Die Referenzdatenbank MegaBase umfasst gut 6 Mio. Partien – jährlich kommen etwa 300.000 dazu. Weiterhin gibt es eine Datenbank für Fernpartien (ab sinnhafter Computerunterstützung Ende der 90er Jahre ein hochwertiger Quell allerfeinsten Schachs) mit etwa 1,5 Mio. Partien. Dazu kommt mindestens ein Schachmotor (früher: Computerprogramm, heute Engine genannt), der das Geschehen auf dem Brett kritisch hinterfragt und seinen Senf in Form von Varianten und Bewertungen eingibt. Zum Glück wird man noch nicht ausgelacht! Denn die Dinger sind saustark (ELO, Wettkampf) und schwach (Analyse in untaktischen Stellungen) zugleich.

Ich glaube, in letzterem Punkt besteht das große Problem der Firma ChessBase. Die Schachprogramme werden auch separat mit eigener Oberfläche verkauft. „Einfache“ Datenbankfunktionen gibt es dort auch, für 95% der Spieler übrigens durchaus hinreichende. Was also muss ein spezielles Datenbankprogramm bieten? Aus meiner Sicht ganz einfach: Mehrwerte und alle(!) Möglichkeiten, scharf und unscharf Daten auszuwerten oder komfortabel zu bearbeiten (besonders Doubletten sind seit 30 Jahren ein Dauerthema). Diesen Spagat bekommt das Produkt ChessBase mit den Updates dieses Jahrtausends nur halbherzig hin.

En Detail sprechen wir über das Update auf ChessBase 13. Während in den vergangenen großen Updates Großes versprochen wurde, ist man heuer eher bedeckt. Ich gehe anbei auf ALLE Punkte ein, die als „neu“ versprochen werden.

1) ChessBase Cloud
Funktion: Man kann seine Datenbanken, Repertoires, Trainings, Bäume, etc. in eine Cloud stecken.
Mein Kommentar: Na toll, Leute, die das brauchen und keine USB-Sticks mögen, arbeiten bereits mit Dropboxen, weltweit und zumeist ohne Kosten. ChessBase schweigt sich übrigens wie fast alle anderen Anbieter über die Art der verwendeten Cloud und auch die Themen Datenschutz und Verschlüsselung aus. Die Größe scheint ebenso kein Problem zu sein – ich bin gespannt, wann die ersten Freaks dort geklaute Spielfilme ablegen (ggf in eine Schachpartie eingebettet :-D). Ein weiterer Knackpunkt scheint mir zu sein, dass auch die Nutzung im Turniersaal bequemer wird – macht ChessBase sich hier zum Komplizen für Cheater? Hoffentlich nicht.

Ach ja – irgendwie scheint man einen „ChessBase Account“ zu brauchen. Ob zusätzlich zum Programm oder nur als passiver Nutzer, wenn man kein Programm besitzt, bleibt offen (gemeint ist ein playchess-Account, der mit 32,99 Euro jährlich zu Buche schlägt)

2) Analyseaufträge
Funktion: Man gibt vor, welche Stellungen von welchen Engines in welcher Tiefe abgearbeitet werden, nacheinander, sozusagen im Batchbetrieb.
Mein Kommentar: Wow, das ist besonders für Fernschacher interessant. Man geht schlafen oder zur Arbeit, betrachtet am Ende mal die Ergebnisse. Man kann beliebige Stellungen raussuchen – manchmal ist ja eine Zugfolge erzwungen oder der eigene Zug klar vorgegeben. Sollte hier das Ausschließen von Zügen auch noch steuerbar sein – ein glattes Yeah! von mir.

3) Verbesserte Repertoirefunktion
Funktion: Die Repertoirefunktion bleibt erhalten, trennt aber zwischen Weiß- und Schwarzrepertoire.
Mein Kommentar: Jeder Nutzer konnte dies bislang über zwei getrennte Repertoire-Datenbanken erledigen. Nun verwaltet das Programm zwei Repertoires auf ein Mal. Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Die Funktion wird sowieso kaum genutzt, da sie sehr unhandlich funktioniert und die menschlichen Bedürfnisse bzgl. eines Repertoires dürftig abbildet. Nicht umsonst gibt es unabhängige Produkte wie den Chess Position Trainer, die sich des Repertoire-Trainings annehmen.

Ich will aber nicht nur meckern, sondern auch verraten, was ich gern hätte.
a) Leichter Aufbau eines Repertoires (etwa in Form des ECO Stils)
b) Mein Repertoire bietet 1-n Möglichkeiten der Fortsetzung (zB aggressiv/passiv/Remis, Gegen bessere/schwächere Spieler), die ich klassifizieren kann
c) Meine Gegner können quasi ALLES spielen. Hier könnte man beim Aufbau in der Referenzdatenbank und/oder bei der Engine spicken und die nicht-schwachen Züge hinzugeben, in ersterem Falle sogar mit einer Häufigkeit
d) Ich kann mein Repertoire trainieren/abfragen – per Partien oder stellungsweises
e) Ich kann Trainingspartien gegen Engines spielen, die über das Repertoire hinausgehen
f) Ich kann Partiebestände durchforsten und erstens neue Ideen finden (Neue(!) Verbesserungen für mich! oder alternative Züge des Gegners) oder meine Partien bzgl. meines Repertoires prüfen lassen (gleiche Zwecke!) – Übernahme ins Repertoire bitte interaktiv unterstützen
g) Ich kann kritische Pfade aufzeigen lassen und werde so beim Feinschleifen unterstützt
h) Ich kann „Arbeitsmarkierungen“ (z.B. Todo: Auftrag) im Repertoire setzen und später gezielt daran arbeiten
i) Zuguterletzt sollte man hier neben einem BAUM-Konzept auch mit einem POSITIONS-Konzept arbeiten. Zugumstellungen…

4) Ergonomische Bedienung
Funktionen: Erleichterte Analyse und Kommentierung durch neue Schalterleiste unterhalb der Notation, effizientere Eingabe von Varianten während der Analyse, neue Varianten werden ohne Abfrage übernommen, Schließen von Brettern bei Liveübertragungen mit einem Klick u.v.m.
Mein Kommentar: Jeder möge selbst urteile, ob dies in ein Major Update gehört oder in die Feinwartung einer Programmversion. Mich selbst stört übrigens beim Massen-Erfassen von Partien, dass ich mich zum Großteil mit dem Header beschäftige. Das ist m.E. insbesondere bei Mannschaftskämpfen oder bei Turnieren unnötig, gibt es doch quasi immer eine elektronische Tabelle.

Der oben aufgeführte Spaß soll mindestens 99 Euro kosten (als Update von der direkten Vorgängerversion). Die Nutzung von Let´s check und der Cloud sind bis Ende 2016 limitiert. Inwieweit man einen playchess-Account zusätzlich benötigt, wissen wir nicht. Bill Gates musste für eine ähnliche Funktionsverbundlung schon mal einen 9-stelligen Betrag überweisen…

Wer gar kein ChessBase hat, den sollte mein Artikel übrigens keineswegs abschrecken, dieses Marktstandardprodukt zu erwerben. Ohne mag nämlich auch ich nicht sein :-). Zu Deutsch: Kaufempfehlung!

Randnotiz: Ich hatte mir im Spätsommer das vielgelobte Buch „ChessBase Complete“ von Edwards zugelegt. Die Begeisterung kann ich nur für solche Leute nachvollziehen, die sich gar nicht in ChessBase auskennen. Einem langjährigen Nutzer gibt das Buch zu wenig und kratzt lediglich an der Oberfläche. Der Kommentar im Vorwort „ChessBase hat versprochen, alle hier beschriebenen Funktionen in der neuen Version 13 zu lassen wie sie sind“ prophezeite mir den obigen Tenor meines Artikels bereits. Ich finde das schade, denn genug Ideen für funktionale Erweiterungen gäbe es!

Ein Gedanke zu „Einfallsloser Kommerz oder kluges Marketing (Salamitaktik)?“

  1. Zu ChessBase 13 gibt es auch einen informativen Beitrag von „Krennwurzn“ im Blog der Schachwelt. Sein Fazit lautet:

    „Kommen wir zur entscheidenden Frage: braucht man CB13 überhaupt? Ganz ehrliche Antwort „NEIN“ und trotzdem gebe ich wie vor zwei Jahren meine ganz persönliche Empfehlung zum Kauf!!“

    Ich gehöre zu denjenigen, die sich ChessBase gekauft haben, als es noch in den Kinderschuhen steckte. Dann kam lange Zeit nichts. Vor zwei Jahren habe ich mir ChessBase 12 zugelegt. Ganz ehrlich: von den angebotenen Möglichkeiten nutze ich vielleicht 10%. Mehr brauche und will ich nicht. Insofern benötige ich auch nicht 110%, die CB13 bietet. Schach ist mehr als eine Datensammelwut. Nichtsdestotrotz schätze ich das Unternehmen Chessbase außerordentlich. Was die permanent auf die Beine stellen, ist klasse. Wer 100 Euro verschmerzen kann, tut deshalb ein gutes Werk, wenn er sich CB13 zulegt. Zusätzlicher Schnickschnack hin oder her.

    Den Beitrag von Krennwurzn findet ihr hier:
    http://www.schach-welt.de/BLOG/blog/krennwurzn-in-the-cloud-with-chessbase-13

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