Vor 40 Jahren in Bad Lauterberg

Anatoli Karpov spielt für die Galerie
Anatoli Karpov spielt für die Galerie

Vom 6. bis 22. März fand in Bad Lauterberg die Internationale Deutsche Schacheinzel-meisterschaft 1977 statt. Es handelte sich um eines der bestbesetzten Schachturniere auf deutschem Boden (Turnierkategorie XII). Zwei Jahre zuvor war Anatoli Karpov Schachweltmeister geworden. Er stand im Zenit seines Könnens und gewann das Turnier deutlich mit 12:3 Punkten. Zweiter wurde Jan Timman (Niederlande) vor Semen Furman (Moskau). Furman war Karpovs Trainer. Das hatte ihm offenbar den Startplatz ermöglicht. Den nutzte er auf eindrucksvolle Weise mit dem 3. Platz vor Gennadi Sosonko (Niederlande) und Robert Hübner. Ein Jahr später verstarb Furman im Alter von 57 Jahren.

Vier der 16 Teilnehmer sind inzwischen verstorben. Die anderen haben nach wie vor einen klangvollen Namen in der Schachszene und sind meines Wissens bis auf Mathias Gerusel (Jahrgang 1938) und Klaus Wockenfuss (Jahrgang 1951) mehr oder weniger aktiv. Karpov und Timman (beide Jahrgang 1951) haben nur wenig von ihrer Spielstärke eingebüßt, auch wenn sie nicht mehr zur absoluten Weltklasse gehören. Robert Hübner (Jahrgang 1948) macht sich am Schachbrett indes rar. Ob Friðrik Ólafsson (Island/Jahrgang 1938) noch Bock auf Schach hat, weiß ich nicht. Von 1978 bis 1982 war er Präsident der FIDE. Remis-König wurde Ulf Andersson (Jahrgang 1951/Schweden) mit 14 Punkteteilungen und einer Niederlage. Derzeit spielt er für den Düsseldorfer SK in der 2. Bundesliga West am 1. Brett. Istvan Csom (Ungarn/Jahrgang 1940) und Raymond Keene (England/Jahrgang 1948) haben wir Hannoveraner in guter Erinnerung. Beide hatten ein Jahr zuvor am Jubiläumsturnier des HSK (100 Jahre) teilgenommen. Csom hatte das Turnier gewonnen.

Die Jüngeren werden womöglich Anthony Miles (England/Jahrgang 1955) nicht kennen. Der Juniorenweltmeister von 1973 war eine schillernde Persönlichkeit. Eine heimtückische Krankheit war wohl die Ursache für seinen frühen Tod im Jahr 2001. Unvergessen ist der Eklat, den er 1985 mit einer ungewöhnlichen Haltung am Brett auslöste. Der Spiegel betitelte die Geschichte mit „Wer liegt, der siegt“. Guckt ihr hier: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13516435.html

Auf einem achtbaren 14. Platz in dem Weltklassefeld landete der Niedersachse IM Manfred Hermann (Jahrgang 1942) mit 5:11 Punkten. Manfred verlor zwar gegen die ersten Sechs der Tabelle, die anderen konnten ihn jedoch nicht besiegen. Acht Remis und ein Sieg gegen Gerusel können sich sehen lassen. Bekanntlich ist Manfred beim SK Union Oldenburg in der Oberliga Nord West aktiv. Gegen uns wurde er allerdings geschont.

Die Abschlusstabelle und sämtliche Partien könnt ihr euch über folgenden Link ansehen: http://www.teleschach.de/historie/lauterberg1977.htm

Tabelle nach der 10. Runde
Tabelle nach der 10. Runde

Es wurden viele sehenswerte Partien gespielt. Die witzigste ist die Partie Keene gegen Wockenfuß aus der 9. Runde. Der Engländer setzte den Deutschen Schacheinzelmeister aus dem Jahr 1976 im 20. Zug kurzerhand matt.

Heinz-Jürgen Gieseke (stehend rechts)
Heinz-Jürgen Gieseke (stehend rechts)

Geleitet wurde das Turnier von einem gebürtigen Hildesheimer: Helmut Nöttger (Jahrgang 1923) war zwischen 1971 und 1991 Spielleiter des Deutschen Schachbundes. Nöttger verstarb 2010. Assistiert wurde Nöttger von Horst Metzing und Heinz-Jürgen Gieseke.

Wer den letztgenannten Vollblutfunktionär nicht kennt, sollte sich diese Geschichte durchlesen: https://www.schachfreunde-hannover.de/nochn-70-geburtstag/

Aus meinem privaten Fotoalbum habe ich einige Fotos herausgesucht, die ich euch im Anschluss zeige. 40 Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Die ist an den meisten Schachgrößen von damals nicht spurlos vorbei gegangen; allen voran seien Karpov und Timman genannt. Eine Ausnahme ist Manfred Herrmann. Sein heutiges Antlitz unterscheidet sich kaum von dem im Jahr 1977. Das ist ein Kompliment meinerseits, wohlwissend, dass ich auch 40 Jahre älter geworden bin.

14 Gedanken zu „Vor 40 Jahren in Bad Lauterberg“

  1. Toller Bericht und tolle Fotos!
    Unbedingt anklicken sollte man mal den Link zur Teleschach-Seite von Gerhard Hund. Ein schier unendlicher Fundus von Tabellen und Berichten.
    Mitte bis Ende der 90er Jahre spielte ich dort einige der ersten Turniere mit, die über das Internet ausgetragen wurden. Wer suchet, der kann die zugehörigen Ergebnisse und Partien noch finden.

    1. Es freut mich, Thomas, dass dir mein Beitrag gefällt. Ohne Erinnerungen ist alles nichts.

      Bad Lauterberg stand damals im Blickpunkt der Schachwelt. Von 1976 bis 1980 gab es vier Großereignisse:
      1976 Niedersachsenmeisterschaft / Sieger: Dr. Helmut Reefschläger
      1977 Internationale Deutsche Schacheinzelmeisterschaft / Sieger: Anatoly Karpov
      1980 WM-Viertelfinale / Dr. Robert Hübner (Köln) 5,5 : 4,5 András Adorján (Budapest)
      1980 Niedersachsenmeisterschaft / Sieger: Harald Behrens

      Parallel zum Viertelfinale zwischen Hübner und Adorján fanden folgende Begegnungen statt:
      Kortschnoi 5,5 – 3,5 Petrosjan (in Velden)
      Portisch 7,0 – 7,0 Spassky (in Mexiko)
      Polugajewski 5,5 – 2,5 Tal (in Alma Ata)

      By the way: Im Halbfinale gewann Robert Hübner gegen Lajos Portisch mit 6,5 – 4,5 Punkten. Im Finale der Kandidaten gab es in Meran für Hübner die ominöse 3,5 – 4,5 Niederlage gegen Viktor Kortschnoi. Wie es dazu kam, hat Michael Dombrowsky (bester Freund von Robert Hübner und Helmut Reefschläger) auf ChessBase eindrucksvoll beschrieben: http://de.chessbase.com/post/eine-ganz-besonderer-weihnachtsgeschichte

      1. Schöne Reminiszenz!
        Zur Ergänzung: 1979 fand eine weitere hochkarätige Veranstaltung in Bad Lauterberg statt, nämlich das Finale im Europapokal für Vereinsmannschaften zwischen Volmac Rotterdam (u.a. mit Kortschnoi und Timman) und Burewestnik Moskau (mit Smyslow, Balaschow und Kotschiew) – doppelrundig an 6 Brettern. Der Europapokal wurde damals noch im K.O.-System ausgetragen. Für das Finale traf man sich auf neutralem Boden im Revita-Hotel in Bad Lauterberg.
        Grund genug für uns, zu viert im Pkw über den Harz zum Kiebitzen zu fahren. Das einzigemal, daß ich die Exweltmeister Smyslow (spielte eine theoretisch bedeutsame Partie im Offenen Spanier gegen Timman) und Euwe (als „Non-Playing-Captain“ für Rotterdam) live zu sehen bekam. Goldene 70er und 80er…

      2. Das Revita-Hotel hatte seinen Anteil an den hochkarätigen Veranstaltungen. Heuer feiert es seinen 40. Geburtstag. Für Genießer unter den Schachfreunden seien anlässlich der Feierlichkeiten folgende Specials empfohlen:
        http://www.revita-hotel.de/jubilaeums-specials.html
        Übrigens war die Internationale Deutsche Meisterschaft 1977 eine Ausnahme (ansonsten gibt’s nur nationale Meisterschaften). Anlass war das 100jährige Bestehen des Deutschen Schachbunds. Er wurde am 18. Juli 1877 in Leipzig gegründet; d.h. in diesem Jahr wird der DSB 140 Jahre alt. In zehn Jahren können wir die Korken knallen lassen.

      3. Bad Lauterberg 1977 eine Ausnahme? Internationale Deutsche Meisterschaften gab es schon vorher in Berlin 1971 (1. Gligoric vor Donner), in Dortmund 1973 (Hecht, Anderssen und Spassky punktgleich) und in Mannheim 1975 (Walter Browne vor Ludek Pachman).

      4. Dein Hinweis ist berechtigt, gleichwohl ging es mir darum, aufzuzeigen, dass im Jahr 1977 kein nationaler Meister gekürt wurde. Im Jahr 1976 wurde Klaus Wockenfuß in Bad Pyrmont Deutscher Meister und im Jahr 1978 Luděk Pachmann in Bad Neuenahr. Der Deutsche Schachbund kreierte damals sogenannte Großmeisterturniere und Offene Deutsche Meisterschaften; letztmalig 1988 wiederum in Bad Lauterberg. Nach dem Mauerfall hatte sich das Thema erledigt.

        Das Turnier 1977 in Bad Lauterberg gehörte wohl auch zu den sogenannten Großmeisterturnieren; jedenfalls steht es so auf der Tabelle, die ich in meinem Beitrag veröffentlicht habe. Rudolf Seebass (damaliger Präsident des NDS) hat sie im Programmheft zum WM-Viertelfinale Hübner-Adorján dennoch „Internationale Deutsche Einzelmeisterschaft“ genannt.

  2. Peter Oppitz hat von den goldenen 70ern und 80ern gesprochen. Stimmt das? Ich habe diese Aussage einem Faktencheck unterzogen. Das Programmheft zum 30. Landeskongress 1976 in Bad Lauterberg ist der Maßstab:

    • 50 DIN A5 Seiten kompetent und liebevoll gestaltet
    • 35 Anzeigen von lokalen Unternehmen und Geldinstituten

    Dafür gibt’s von mir zweimal eine Goldmedaille. Anzeigen sind ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Verhältnisse. Was ist daraus geworden? Allerorten kämpft der Einzelhandel ums Überleben. Deshalb habe ich geprüft, ob die Bad Lauterberger Einzelhändler und Unternehmer, die damals Anzeigen geschaltet hatten, noch existieren. Ich bin erstaunt. Sie haben überlebt! Beispiel: H. Schwickert seit 1852. Das Geschäft ist somit älter als die SPD und der DSB. Als „Treffpunkt für die ganze Familie“ hat es alle Wirren überlebt; guckt ihr hier: http://www.schwickert.de/

    Wie sieht es heute mit den Geldinstituten aus? Die Volksbank warb wie folgt:

    „Wer gewinnen will, der macht auch aus Sparen ein Spiel. Die Spielregeln sind einfach, der Nutzen ist groß. Trainieren Sie im Bund mit der Volksbank. Dann siegt die Vernunft und bekommt oft noch eine dicke Prämie.“

    Heute gibt’s stattdessen dicke Backen. Die Sparkasse lud „zum Stapeln“ unseres Geldes ein. PS-Lose für 9,00 Mark das Stück. 8,00 Mark auf den Stapel, eine Mark für ein Los. Heute ist das ein Geschäftsmodell für Tiefstapler. Da wäre noch die Deutsche Bank:

    „Es gibt viele Möglichkeiten, Ihnen den Umgang mit Geld zu erleichtern. Fragen Sie die Deutsche Bank.“

    Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Offenbar hatte der visionäre Werbefachmann folgenden Hintergedanken:

    „Es gibt viele Möglichkeiten, Sie um Ihr Geld zu erleichtern. Fragen Sie die Deutsche Bank.“

    Drastischer drückte es DIE WELT in ihrem Artikel vom 06.03.2017 aus: „Die schamlosen Geldverbrenner von der Deutschen Bank.“

    Dazu habe ich mir erlaubt, einen Werbespruch aus der damaligen Zeit ein wenig abzuwandeln. Ähnlichkeiten mit lebenden Unternehmen sind rein zufällig.

    Geld verbrannt.
    Der Banker kichert.
    Hoffentlich Firlefanz versichert.

    Die Runde geht damit auch an die 70er und 80er. Mannomann! Das ist mein Stichwort für die Frau, deren Tag wir heute feiern. Wie war das damals mit den Frauen? Die Analyse läuft.

    1. Frl. Hoose, Heike Makatsch und Oberkotzau

      Die Nacht über hat mein Rechner gerechnet und gerechnet. Es gibt wohl kein schwierigeres Thema als den Wandel von „Frau und Schach“ in den letzten 40 Jahren. Um es vorwegzunehmen: Der Punktsieg geht knapp an das 21. Jahrhundert. Ausschlaggebend war die Abschaffung des „Fräuleins“ aus den Köpfen der Männerwelt.

      In der Galerie der Niedersachsenmeister war zu lesen, dass z.B. 1971 Frau Hensel und 1972 Frl. Hoose bei den Damen gewannen. Bei den Herren gab es keine Unterscheidung in Richtung Ehestand. Das Wort Fräulein war zweifelsohne diskriminierend. Insofern hat die Frauenbewegung etwas erreicht.

      Heike Makatsch konnte davon nicht profitieren, denn sie hat Diskriminierung nur beim Schach kennengelernt, wie sie vor ein paar Tagen zum Besten gab. Daraus ergab sich eine bizarre Diskussion, die im Schachticker durch die altväterliche Kommentierung von Franz Jittenmeier (dessen Artikel ich ansonsten schätze) ausgelöst wurde; guckt ihr hier:
      http://www.chess-international.de/Archive/68883

      Von Oberkotzau lernen, heißt Mädchen integrieren. Das ist die gute Nachricht einen Tag nach dem „Tag der Frau“; guckt ihr dort: http://www.deutsche-schachjugend.de/fileadmin/dsj_image/jugendarbeit/maedchen/JdV-Oberkotzau.pdf

  3. Herr Gerusel spielt seit Jahren nur noch Mannschaftskämpfe; derzeitig am 3. Brett der 2. Mannschaft des Godesberger SK in der Regionalliga und im Bonner Betriebssport für die Mannschaft BMF/BMI.

    1. Vielen Dank für die Info. Ich bin so frei zu mutmaßen, dass wir diese einem Historiker verdanken, den wir aus dem Fernsehen kennen, als Gewinne noch in Deutscher Mark ausgezahlt wurden. – Wie Mathias Gerusel heute aussieht, konnte ich auf der Webseite des Godesberger SK nicht herausfinden, aber ein vierzig Jahres altes Foto, auf dem er zusammen mit Horst Metzing zu sehen ist, habe ich noch. (siehe Ergänzung meiner Galerie)

      1. Mit meiner Vermutung lag ich knapp daneben. Es handelt sich nicht um Eckhard F., sondern um Eckhard S. Meine Wertschätzung ist ihm dennoch sicher. Über weitere Hinweise aus seiner Feder würde ich mich freuen.

  4. Schöner Beitrag. Ich war damals leider gesundheitlich gehandicapt (Rückenschmerzen).
    Lustig war meine Partie gegen Ulf, Patt. Gegen R.Hübner liess ich wohl den Gewinn aus, das wurde schon im Net kommentiert, später passierte es mir noch mal in der BL.
    Viele Grüsse

    1. Über diese Grüße freue ich mich außerordentlich. Echte Deutsche Schachmeister sind rar geworden. Umso erfreulicher ist es, dass Klaus Wockenfuß vierzig Jahre später offenbar noch gesund und munter ist. Das liegt vermutlich an seiner zweiten Leidenschaft: dem Laufen. Vorzugsweise Marathon und Halbmarathon. Über seine Bestzeiten ist mir nichts bekannt, aber es wäre interessant zu wissen, ob er damit vor oder hinter unserem Bernd landet: http://www.schachfreunde-hannover.de/bernds-punktlandung/

      Klaus ist allerdings ein paar Jährchen älter. Wer es genau wissen will, sollte sich dieses Ständchen anhören: https://www.youtube.com/watch?v=_BU1RbLJrRE
      Am nächsten Dienstag ist es so weit.

  5. Das Finale im Europapokal für Vereinsmannschaften zwischen Volmac Rotterdam und Burewestnik Moskau 1979 in Bad Lauterberg.
    Ja, auch ich habe schöne Erinnerungen an diese Veranstaltung. Als kleiner Junge fuhren ich und einige Vereinskameraden in den Harz um einmal in die große Welt
    des Schachs zu schnuppern. Ein besonderes Erlebnis war es für mich den großen Max Euwe noch „live“ zu erleben im Publikum bei der Analyse von laufenden Partien durch anwesende Großmeister. Lange ist es her und heute widme ich mich nur noch dem Problemschach, aber dieser schöne Rückblick wird für immer in
    meinem Gedächtnis bleiben.

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