„Gladiatoren“ in Wijk aan Zee!

Es ist schon gut 100 Stunden her, dass ich die Niederlande hinter mir gelassen habe und zu meinem Erstaunen der Score von 2:1 bereits in diesem unserem Blog verkündet war – jedoch nur körperlich. Eine erfüllte Arbeitswoche später soll nun mein Bericht folgen.

Wijk aan Zee ist die Heimat des berühmten Hoogovens Schaakternoi, das nach der Fusion mit British Steel zwischendurch den Sponsor Corus, nun den Sponsor TataSteel abbekommen hat. Der Geldsegen ist dort knapper geworden, was man einerseits daran merkt, dass auch die Amateure zur Kasse gebeten werden (bis in die 90er 100% Preisgeldausschüttung), andererseits „nur“ noch 2*14 Teilnehmer die Klinge kreuzen. Immerhin sind die Top-10 wieder zur Hälfte vertreten – die Talsohle scheint durchschritten. Im A-Turnier dürfen neben dem schlaksigen Weltmeister (optisch echt zu lang geraten für einen Standard-Schachtisch!) auch die chinesische Damenweltmeisterin und ein Aufsteiger aus dem B-Turnier ran. Sympathisch kam der polnische GM Wojtaszek daher, der Autogrammwünsche noch lächelnd und gern erfüllt – neu im Club der Supergroßen. Das B-Turnier ist die Bühne für talentierte Holländer, zudem sind zwei Damen und sehr ambitionierte Jungspieler aus dem Rest der Welt unterwegs. Ein wildes Hauen und Stechen ist vorprogrammiert.

Die Atmospäre war wie gewohnt einmalig. Man spielt in der Gemeindeturnhalle von Wijk – Profis wie Amateure gleichzeitig – 600 Menschen an 300 Brettern, wohlgeordnet von einer stets gut organisierten Turnierleitung! Und das macht den großen Reiz aus.

Apropos wohlorganisiert – wir haben am Freitag mit sage und schreibe 45 Minuten Verspätung begonnen, ohne erkennbaren oder erklärten Grund. Wir, das ist ein treuer Haufen altgedienter Wijk-Besucher: Randolf und Michael aus Isernhagen, der Ex-Eldagsener Werner, Christian aus Eldagsen, Rainer aus mittlerweile Kiel und erstmalig Andre aus Hildesheim. Jeder von uns hat den Wettkampf aufgenommen in einer 4er-Gruppe etwa gleich starker Spieler. Jeder spielt gegen jeden, Freitag Abend, Samstag und Sonntag Mittag, das Ganze in 9 Spielstärkeklassen aufgeteilt.

Andre hat in der 3. Klasse mit 3/3 und 2340 eine starke Performance hingelegt – zahlt Training sich so schnell aus??? Eventuell winkt ihm damit in 2016 eine Teilnahme in Klasse 1. Werner hat in der 4. Klasse überzeugend und überlegen 2,5 Punkte geholt. Unsere übrigen Mitspieler blieben im Rahmen Ihrer Erwartungen, ein wesentlich besseres Ergebnis als 2014. Auffällig waren die hohe Zahl an Spielern über 2000 und die große Zahl an Kindern in den besseren Klassen.

Meine Gegner waren zwischen 1900 und 2000 klassiert, sowohl in nationaler als auch in internationaler Rating.
Runde 1 bescherte einen ehrgeizigen Akteur. Die Klötze wurden fein geschoben, kleine Taktikwitze angebracht, spät rochierten wir (beide lang natürlich). Tja, und dabei ergab sich quasi eine Mehrfigur: Sein (früher mal auf f7 schielender) Läufer war auf a2 positioniert, nebst Bauer c4 und König b1 – ein Großbauer. Der Zeitpunkt zur Öffnung am Königsflügel war gekommen, dort fiel dank des Mehr-Springers ein Bauer. Nach dem Läufertausch auf b3 verblieb ich im Turmendspiel mit nur EINEM Mehrbauern, verschmähte einen zweiten, aber nix Remis, da verbundene Freibauern. Schulmäßig ohne Umwege nach vorn geschoben, ergab sich letztlich eine Stellung mit Zugzwang-Motiv und eine entnervte Aufgabe. Seht schon bald im Kommentar!

Runde 2 brachte mir einen etwa gleichaltrigen Gegner, der in Runde 1 einen sehr schönen Mattangriff im Endspiel gezaubert hat, in Chessbase mit zahlreichen Partien gegen 2300er unterwegs ist, all das jedoch im alten Jahrtausend. Was soll man bloß davon halten? In der Eröffnung wurde ich jedenfalls schon im 4.Zug mit g7-g5 angesprungen, was ich ganz gut pariert habe. Auch hier ein Abtasten, das in späten Rochaden mündete (ich lang, er kurz). Kurz war ein Fehler, denn nach der Öffnung der h-Linie war h7 recht schutzlos, der schwarze König auch. Im 20. Zug setze ich zum Figurenopfer an – Ablenkung. Das kostete die Dame gegen zwei Springer bei anhaltend schlechter Position. Im 34. Zug setzte ich dann Matt. Auch hierzu gibt es noch einen Kommentar…

In Runde 3 wartete dann mit Alexander Janse ein 13jähriges Talent auf mich, das in den letzten 18 Monaten 400 Wertungspunkte hinzugewonnen hat. Mein letzter Gegner dieser Art war Benjamin Bok (heute Elo 2590), den ich vor 10 Jahren mühsam niederringen konnte. Diesmal lief ich in eine ausgeklügelte Vorbereitung, die zudem gut untermauert schien. Als ich dann ein verlockendes Mattopfer ansetzte, das keins war, drohte diesmal mir die Miniatur. Die konnte ich vermeiden, die unschöne Null zum Abschluss nicht.

Sonneborn-Berger war schon am Samstag Abend mein Freund, so dass ich bei einer Performance von 2060 den Gruppensieg innehatte. Mit meinen Gewinnpartien kann ich sehr zufrieden sein, mit dem Fauxpas vom Sonntag nicht.

Über das Leben abseits des Brettes gibt es auf der Hildesheimer Seite den einen oder anderen Schwank. Ich habe an beiden Abenden dem Tandem gefrönt, Freitag zu sehr später Stunde – die Turnierpartien waren ja erst um 23:30 Uhr zu Ende – sogar mit Schach und Matt Einsetzen (Waaaaaaaaaaaaaaaahnsinn! Hat mich aber nur zwei Könige gekostet und nix mit f7 wegnehmen!!!). Am Samstag hatten Andre und ich es dann mit zwei Jungs der Größenordnung 2100 aufgenommen – harmlose Regeln, aber Bauern durften bis zur 2.Reihe eingesetzt werden – echt doof!). Meine Überlebenskunst zeigte sich hier in einer Partie, in der mein Gegner sich 3 Damen umwandelte – was echt unübersichtlich wurde! – zudem eine auf dem Brett und eine in der Hand hatte – mich aber partout nicht Matt bekam 😀

Wijk ließ mich seither dennoch nicht los. Werner spielte noch den Wochentagsvierkampf (Montag bis Mittwoch). Die Amateuere spielen ab heute noch Rundenturniere in 10er Gruppen, 3x anstrengender als mein bescheidenes Kurzturnierchen. Nach 2 1/2 Wochen endet das Spektakel vorbei und Wijk versinkt im Winterschlaf.

Auf chess24.de läuft die m.E. beste Übertragung der GM-Partien ohne Clientinstallation. Schaut selbst.

Seit heute darf man auch wieder auf den Weltmeister als Turniersieger setzen. Der ist ohne Zweifel ein ganz ganz großer Gladiator in der Schacharena!

6 Gedanken zu „„Gladiatoren“ in Wijk aan Zee!“

  1. [Event „Wijk aan Zee 3O“]
    [Date „2015.01.09“]
    [Round „1“]
    [White „Frans, Richard“]
    [Black „Gabriel, Uwe“]
    [Result „0-1“]
    [SetUp „1“]
    [FEN „8/1k6/1pp4p/3pp3/3n3P/PB3r2/KPP5/7R b – – 0 37“]
    [PlyCount „0“]

    Nxb3 cxb3 {Das
    Elend ist da – ZWEI verbundene Freibauern im Turmendspiel} d4 Kb1 e4 Kc1 d3 Kd2 Rf2+ Kc3 Rc2+ (c5 $1 {Böser Zug!} Rc1 Re2 h5
    d2 Rd1 e3) Kd4 Re2 Rd1 d2 (c5+ $1 {Gleiches Resultat, nur
    fieser…}) b4 e3 Kd3 Re1 Kc2 h5 {Die angestrebte Stellung ist
    erreicht! Hilflosigkeit… a) Ziehen Turm oder Bauer, so gibt es eine
    Mehrdame. b) Ziehen die Bauern, so gehen ihnen früher oder später die Züge
    aus. Weiter bei a) Neben diesen trockenen Ideen gibt es na klar auch e2
    Txd2 Tc1+ Kxc1 e1D+} 0-1

    1. Ein großartiger Bericht, Uwe. Das “Hellgrüne” Feld befindet sich unter dem “Hellgelben Feld”, allerdings muss du den richtigen Partie-Code aufrufen; siehe oben:
      1. „Wie funktioniert es?“ anklicken
      2. „Partie eingeben“ anklicken
      3. „Folge dem Link Partie-Code erzeugen“ anklicken
      4. Mit copy und paste das „Hellgrüne Feld“ generieren
      5. Den Frame-Code im „Hellgelben Feld“ kopieren und in deinen Beitrag oder Kommentar einfügen.

      Oder du machst es so wie Torsten.

  2. FINALE – OHO!

    Heute greifen 600 Gladiatoren (24 Meister und ganz viele Amateuere im 10-Kampf) zum letzten Mal für 2015 in Wijk aan Zee an.

    Der Weltmeister (oh ich Hellseher! – s.o.) liegt vorn. Anish Giri hat gute Chancen, mit einem Sieg Druck aufzubauen.

    Die Weltmeisterin (spielt ja auch mit!) sollte noch ein weiteres munteres Remis holen, um im Plan zu liegen. Es macht Spaß, Ihrer Mischung aus Furchtlosigkeit und Abklammern zuzuschauen. Die Herren versuchten es bislang häufig vergeblich mit aufhungern u.ä. Zudem hat sie die höchste Restlebenserwartung aller Teilnehmer! Eher stirbt Carlsen am Herzinfarkt…

    Wir hatten ja kürzlich hier im Blog mehrere Diskussionen, die ich gern aufgreifen möchte:

    „Sinnloses Weiterspielen“ – in Wijk spielen die Großen verdächtigste Stellungen weiter. Ich erinnere mich an die Verlustpartie von Carlsen (minus 3 über 20 Züge lang) und bin mir gleichzeitig nicht sicher, ob alle Landesligarecken die Partie tatsächlich in den Gewinnhafen gebracht hätten – so ideenreich war das. Dass wir nicht nur über „Sinnloses“ reden, zeigte sich in der Partie Saric-Wojtaczek aus Runde 12: Ab Zug 45 schlug das Pendel über 2 Bauerneinheiten aus, in Zug 65+66 war es auf einmal Remis – nee, hamse beide nicht gesehen!!!

    „Wahrheit der Schachprogramme und Tablebases“ – TBs scheinen sicher und können eigentlich nur noch durch Datenspeicherfehler (Festplatte kaputt!) versagen.
    Ein MULMIGES Gefühl überkommt mich jedoch in der Partie Giri vs. So aus Runde 12. In Zug 110 wird von Stockfish Df3 mit Idee 111.a8D und #21 angezeigt. Es folgt 111.a8D mit Anzeige #38 (HUCH!!!). Trotz dieser gewaltigen Stellungsverbesserung gab Schwarz übrigens sofort auf. (Quelle chess24.com)

    Schaltet man den gesunden Menschenverstand ein, so kann man die 38 Züge kaum glauben. Zwei zu eins Damen müssen doch in weniger als 31 Zügen tauschbar sein!!!
    Der getreueste meiner Lieblingskiebitze sagt übrigens #16 – was ich durchaus zu Glauben geneigt bin!

    Viel Spaß beim Kiebitzen!!!
    Ich spiele derweil Doppelkopf – OTB versteht sich 😀

Schreibe einen Kommentar zu Torsten Gans Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

* Die Checkbox gemäß Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist ein Pflichtfeld.

*

Ich stimme zu.