Hannover gehört zu Linden. Oder umgekehrt. Egal. Gefeiert wird hüben wie drüben. 900 Jahre hier, 486. Schützenfest dort. Früher hätte ich über Schützenfeste die Nase gerümpft. Mittlerweile bin ich altersmilde. Schützen wollen auch ihren Spaß. Den sollen sie haben.
Es gibt drei Gründe, weshalb ich über das weltgrößte* Schützenfest berichte: 1. Ein ehemaliges Mitglied ist auf dem Schützenplatz zum Parteichef gewählt worden. 2. Das Rätsel um die Mengenlehre. 3. Ein Bilderreigen wider das Sommerloch.
*weltgrößte in Bezug auf Schützenfest stimmt, als Volksfest gehört es nicht zu den Top Ten in Deutschland
1. Einen Parteitag auf einem Rummelplatz abzuhalten ist außergewöhnlich. Die hannoversche SPD ist Rummel gewohnt, und so war es folgerichtig, dass sich die Delegierten in einem Festzelt trafen. Dabei wurde ihr Vorsitzender mit 84,3 Prozent im Amt bestätigt. Er heißt Alptekin Kirci. Mitte der achtziger Jahre war er zusammen mit seinem jüngeren Bruder Gültekin Mitglied bei uns Schachfreunden. Er hatte Talent. Im zarten Alter von zwölf Jahren konnte er u.a. ein Jugendturnier in Isernhagen gewinnen.
Seine Beweggründe, mit dem organisierten Schachspielen aufzuhören, kenne ich nicht. Über mangelnde Beschäftigung als Rechtsanwalt und Parteichef wird er sich freilich nicht beklagen. Wir gratulieren zur Wiederwahl! Seit Franz Müntefering vor elf Jahren das Geheimnis lüftete, wissen wir, dass Parteivorsitzender der SPD das schönste Amt neben dem Papst ist.
2. Aktive Journalisten müssen die Mengenlehre falsch verstanden haben. Anders kann ich mir nicht erklären, dass sie offenbar keinen blassen Schimmer haben, wie groß die Menge von 200.000 Menschen ist. Ich erkläre die Zahl mal so: 200.000 Menschen sind sämtliche Einwohner Hildesheims und Salzgitters zusammen oder rund fünfmal sämtliche Einwohner Lindens jeweils vom Säugling bis zum Greis, vom Kranken bis zum Urlauber oder rund viermal ein ausverkauftes Niedersachsenstadion.
Nun sollen 200.000 Besucher am vergangenen Sonntag an der Strecke in Hannovers Innenstadt gestanden haben, um sich das Spektakel des Schützenausmarsches anzusehen. Das berichten übereinstimmend HAZ und NDR. Warum? Weil es ihnen der Veranstalter in Person von Schützenfest-Geschäftsführer Klaus Timaeus so gesagt hat. Die Strecke war genau 3 km lang. – Wir rechnen: Auf einem Kilometer wären das rund 67.000 Besucher, auf 100 Meter im Schnitt 6.700, auf 10 Meter 670 und auf jedem Meter 67 Besucher!! Ihr könnt euch schon denken: eine Null weg und die Sache stimmt. Wenn jemand 50.000 Besucher geschätzt hätte, hätte ich mich nicht mokiert, aber die aberwitzige Wunschzahl des Veranstalters kritiklos zu verbreiten widerspricht dem Pressekodex: „Ziffer 2 – Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen […] sind mit der gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.“
Trotzdem war die Stimmung gut, wenn auch nicht so ausgelassen wie beim Karneval in Rio. Die Temperaturen waren indes brasilianisch. Vom ersten bis zum letzten Meter habe ich mich davon überzeugt.
3. Auf den Webseiten der HAZ und des NDR gibt es zahlreiche Fotos vom Schützenausmarsch. Für diejenigen, die nicht unter den 20.000 Besuchern waren, habe ich 15 eigene Fotos ausgesucht. Am besten gefällt mir Foto Nr. 08.
Bevor ihr euch meine Bildergalerie anguckt, habe ich noch einen Veranstaltungstipp für heute Abend. Meine Freunde von Marquess geben auf dem Schützenfest im Auftrag von NDR 1 ein Gute-Laune-Konzert. Um 20:45 Uhr geht’s los.