Conrad, ich habe meine DWZ geschrumpft

Der Präsident des Niedersächsischen Schachverbands, Michael S. Langer, gibt dem Blog Perlen vom Bodensee ein Interview. Diese Meldung findet ihr aktuell auf der NSV-Webseite. Es geht um das Verbandsprogramm des Deutschen Schachbunds, an dem Michael mitgewirkt hat. Auf das Programm möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen, obwohl es genug Gesprächsbedarf gibt. Es geht mir in diesem Beitrag um eine bemerkenswerte Antwort, die Michael zu Beginn des Interviews gegeben hat:

Conrad Schormann: Bis gestern hast du beim Meisterturnier der Bezirksmeisterschaft gespielt. Wie ist es gelaufen?

Michael S. Langer: Ach, na ja. H-Zahl 1815, das kostet mich DWZ.

14 Schachspieler haben am Meisterturnier des Bezirks 2 teilgenommen. Michael belegte mit 2 Punkten aus 5 Partien den 11. Platz. Nach der DWZ-Rangliste hätte er den 8. Platz belegen sollen. Folglich ist Michael mit seiner Platzierung nicht zufrieden.

Warum hat Michael jedoch diese Antwort gegeben? Michael ist ein leidenschaftlicher Schachspieler und ein leidenschaftlicher Funktionär. Michael hätte z.B. die Antwort geben können: „Das Turnier hat mir Spaß gemacht. Ich habe einige inhaltsreiche Partien gespielt, auch wenn die Punktausbeute nicht befriedigend ist.“ Oder: „Es war ein verkorkstes Turnier. Ich habe mehrmals danebengegriffen. Dennoch bin ich nicht entmutigt.“

Warum spielen wir überhaupt Schach? Wegen der DWZ!?! Michael hat seine DWZ in diesem Turnier um 13 Punkte von 1909 auf 1896 verschlechtert. Damit liegt er in seinem Verein vorübergehend auf dem 16. Platz, in seinem Bezirk auf dem 93. Platz und in ganz Niedersachsen auf dem 668. Platz. Verbringen wir unsere kostbare Lebenszeit etwa damit, um lächerliche Platzierungen aufzubessern? Ist Schach nicht Kunst? Geht es nicht um die vielfältige Schönheit des königlichen Spiels gepaart mit Mut, logischem Denken und Kameradschaftlichkeit? Stattdessen geht es in Wirklichkeit um die schnöde DWZ!

Michael hat das ausgesprochen, was leider zu unserem Alltag geworden ist. Die DWZ macht schon von Kindesbeinen an süchtig, und wir kommen selbst im Alter 50+ nicht davon los. Die Werte des Schachspiels treten dadurch in den Hintergrund.

Auf diesen Umstand habe ich bereits mehrfach hingewiesen. Mein Vorschlag, die DWZ abzuschaffen, traf auf Unverständnis. Dass Wertungszahlen zum Leistungsschach gehören, ist kein Widerspruch. Vermutlich ist es indes einfacher, den Amerikanern das Tragen von Waffen zu verbieten und den Deutschen ein Tempolimit auf den Autobahnen zu verordnen, als Schachspielern die Droge DWZ wegzunehmen. Nichtsdestotrotz wiederhole ich hiermit meine Vision:

– Deutsche Wertungszahlen werden abgeschafft.
– Elo-Zahlen behalten ihre Gültigkeit und können von jedermann erworben werden.
– Mannschaftskämpfe werden ab der Oberliga ausgewertet.
– Turniere können auf Wunsch des Veranstalters ausgewertet werden.

Was haben wir davon? Wir können wieder unbeschwert „Just for Fun“ Schachspielen und müssen nicht bei jeder Turnierpartie um unsere soziale Rangordnung zittern.

Dieser Beitrag ist keineswegs eine Kritik an Michael S. Langer. Ich schätze ihn sehr. Dafür, dass er ein umtriebiger Schachfunktionär ist und dabei auf tausend Hochzeiten tanzt, hat er eine beachtliche Spielstärke. Mehr oder weniger ungewollt hat er das ausgesprochen, woran an das Deutsche Schach derzeit krankt: an der Droge DWZ.