8 Gedanken zu „Bin ich schon drin?“

  1. Da ich jetzt drin bin, versuche ich’s mal mit einer historischen Partie, die ich kurz nach Beendigung meiner Sturm- und Drangzeit gespielt habe. Soll heißen, im ersten Jahr meiner nunmehr ewig langen und beispielhaften Ehe reiste ich mit meiner Frau nach Baden bei Wien. Dort wurde die Offene Wiener Stadtmeisterschaft ausgetragen. Ich spielte mit und hatte das Vergnügen gegen einen der stärksten Österreicher anzutreten. Er war schon damals eine Legende: IM Dr. Andreas Dückstein. Er war dreimal österreichischer Staatsmeister und nahm an 8 Schacholympiaden teil. Seine Elo-Zahl lag damals bei gut 2.400. Nun habe ich bei Chessbase gelesen, dass er mit seinen 86 Jahren noch immer aktiv ist. An diesem Wochenende beginnt das Wien Open, an dem er teilnehmen wird.
    Mit dem Verlauf der Partie war ich sehr zufrieden. Mit dem Remis am Ende nicht. Denn sowohl im Mittelspiel als auch im Turmendspiel mit einem Mehrbauern, wähnte ich mich auf der Siegerstraße. Nach dem 52. Zug war das Unentschieden perfekt.

    Analyse meiner Partie gegen Dr. Dückstein

    In meiner Partie gegen Dr. Dückstein hatte ich im 29. Zug eine große Chance ausgelassen. Mit 29. … Tc3 statt Dd6 hätte ich meinen Gegner vor schwer lösbare Probleme stellen können. Lediglich mit 30. Sh5+ hätte er die Partie im Gleichgewicht halten können. Unterm Strich bliebe mir ein Läufer für drei Bauern. Das naheliegende 30. Se6+ hätte indessen verloren, wie die Hauptvariante zeigt. Allerdings gab es auch für mich einige Fallstricke, wie ich euch anhand mehrerer, aufregender Varianten zeigen möchte. Leider ist es mir noch nicht gelungen, diese Varianten so strukturiert darzustellen und mit entsprechenden Kommentaren zu versehen, wie ich es gern hätte. Ich übe noch. Vielleicht kann mir jemand Tipps geben.

  2. Schachpartien sind unsterblich

    Unter historischen Schachpartien gibt es mindestens zwei, die als unsterblich gelten, womit in Wirklichkeit deren Berühmtheit aufgrund eines ungewöhnlichen Verlaufs gemeint ist. Grundsätzlich sind alle Schachpartien unsterblich, sofern wir sie notieren und die Notation aufbewahren. Das wurde mir bewusst, als ich mich nach drei Jahrzehnten wieder mit der Partie gegen Dr. Dückstein aus dem Jahr 1980 befasst habe. Was ist in der Zeit nicht alles passiert? Hätte ich damals in Wien erklärt, dass ausgerechnet ein österreichischer Bodybuilder Gouverneur von Kalifornien werden sollte, wäre ich vermutlich wie Gustl Mollath in einer Klapsmühle gelandet.

    Je länger ich mich mit der Partie beschäftigt habe, desto stärker kamen die Erinnerungen zurück. Bis hin zu den Emotionen und den Gedanken, die ich während der Partie hatte. Das zeigt, dass uns Schachpartien ein Leben lang prägen, gleichwohl, ob wir das bewusst wahrnehmen oder nicht. Heutzutage können wir uns Maschinen bei der Analyse zur Hilfe nehmen. Das habe ich auch getan. Ob ich damals am Brett, den studienartigen Zug 31. … Lf6 gefunden hätte, bezweifele ich. Auf den ersten Blick ist er paradox, denn Schwarz gibt eine Figur und lädt Weiß zum Matt auf g7 ein. Auf den zweiten Blick wird der Zweck deutlich. Die weiße Dame wird vom Feld g3 abgelenkt. Die Maschine findet eine solche Variante sofort. Der Mensch muss rechnen und rechnen und immer damit rechnen, dass er sich verrechnet. Da wählt man lieber einen Zug, der weniger spektakulär ist. Übrigens gibt es rein theoretisch folgende hübsche Variante, falls Weiß nach 33. … Tf3 nicht aufgibt, sondern sich mit 34. Sc7 am Leben klammert. Dann käme 34. … Txf6 35. Ta8 Dxa8 36. Sxa8 Tc6 und Schwarz gewinnt.

    Am schönsten an dieser Partie sind also die Varianten, die nicht gespielt wurden. Sich damit dreißig Jahre später zu beschäftigten, zeigt, dass das Schachspiel eine unsterbliche Kunst ist.

  3. Ich verneige mich vor der liebevollen, gar poetischen Darstellung dieses Glanzstückes einer längst vergangenen Zeit.

    Gegen Dr. Dückstein, den Herrscher der Turmendspiele, ein eben jenes gewinnen zu wollen wird natürlich alles andere als ein leichtes Unterfangen sein. Es wird auf ein „3vs2“ an einem Flügel, entweder mit einem oder zwei Turmpaaren herauslaufen, und ich denke hier hätte Gerhard noch ein wenig umsichtiger spielen müssen, um die optimalen Startvoraussetzungen dafür zu bekommen.

    Mir persönlich erschien 38..Th-e4 etwas zu fahrig. Ich hätte lieber 38…Tg4+! gespielt. Nach 39.Kf3 (sonst fliegt der g5 weg) Ta2 muss Weiß den e Bauern mit 40.e6 über den Jordan schicken, da ein Verlust des bauern g5 die Niederlage recht leicht gestalten würde. Nach 40..Ta3+ 41.Ke2 Te4+ 42.Kd2 Txe6 hat Schwarz genau wie in der Partie den e Bauern erobert, aber einen wichtigen Unterschied zur Partie geschaffen: Der weiße König ist abgeschnitten ! Das sollte Schwarz exzellente Gewinnaussichten geben. Gegen Dückstein sicherlich noch ein weiter Weg..

    Cheers,

    Torben

  4. Moin Torben,
    schön, dass du für Leben in der Bude sorgst. Du hast recht. Damals habe ich lange an dem „fahrigen“ Zug 38. … The4?! überlegt. Den Zug 38. … Tg4+! habe ich verworfen, weil ich Muffe vor dem e-Bauern hatte. Sicherheitshalber wollte ich den Bauern schnellstmöglich abräumen. Du kennst den Spruch: „Lieber ein Remis in der Hand als eine Null in der Tabelle.“ – Erinnerungen beleben die grauen Zellen. Soeben habe ich Janis Joplin auf Bremen 1 mit ihrem Gänsehautsong „Me And Bobby McGee“ gehört. Als das Lied ein Hit war, haben Horst-Peter und ich um den Titel eines Hannoverschen Jugendmeisters gekämpft.

  5. Unser Blog ist noch ein zartes Pflänzchen. Es musste sich durch kilometerdicke Schichten voller Permafrost seinen Weg bahnen. Damit es nicht verkümmert, bevor es sich richtig erblüht, möchte ich eine weitere Partie zum Besten geben. Die unzureichende Darstellung bitte ich zu verzeihen. – Die Partie habe ich 1996 in einem Open gespielt, das in Wiesbaden ausgetragen wurde. Ich hatte Weiß gegen den Polen Miroslaw Grabarczyk. Derzeit ist er das 4. Brett vom Erstligaklub SV Griesheim. Mittlerweile ist er Großmeister. Damals war er meines Wissens Internationaler Meister mit einer Elo-Zahl von 2.505. Die Partie verlief zunächst unspektakulär. Als ich im Mittelspiel für seine Dame allerhand Material geben musste, stand er vermutlich auf Gewinn, wenn er die stärksten Züge gefunden hätte. Aber das war verdammt schwierig, wie ihr euch selbst überzeugen könnt. Meine Dame war selbstbewusst genug, um für Unruhe zu sorgen. Die hätte beinahe zum Sieg geführt. Bevor irgendetwas anbrennt, gab ich mich jedoch mit Dauerschach zufrieden.

  6. Nomen est Omen

    Nicht, dass ihr denkt, ich kann nur Remis. Ich kann auch Gewinnen. Und Verlieren; allerdings ungern, sehr ungern. Geht es euch auch so? Über eigene Fehler kann ich mich noch 25 Jahre später ärgern. Deshalb werde ich euch ausgewählte Verlustpartien nur dann zeigen, wenn es die Dramaturgie so will. Bevor ich euch eine Gewinnpartie gegen einen Bundesligaspieler präsentiere, möchte ich ein paar Worte zu meinem vorherigen Beitrag verlieren.

    Der Bundesligaverein SV Griesheim war in der vergangenen Saison eigentlich abgestiegen. Durch Verzicht anderer Vereine ist er in der 1. Liga geblieben. Für die Bretter 1 bis 9 sind sechs Polen und drei Ungarn gemeldet. Erst auf den billigen Plätzen folgen Deutsche; drei namens „Nothnagel“. Wenn das kein Zeichen ist!? Gegen den Einsatz von ausländischen Profis habe ich überhaupt nichts, aber bedenklich ist die Entwicklung dennoch.

    Dass ich hin und wieder meinen Gegnern einen Streich spiele (um beim Wortspiel zu bleiben), musste FIDE-Meister Timo Sträter im Jahre 1998 erleiden. Er spielt seit ewigen Zeiten für den SV Wattenscheid an einem der hinteren Bretter in der 1. Bundesliga. Bis zum 13. Zug verlief die Partie in theoretischen Bahnen und hielt sich anschließend im Gleichgewicht. Dann übermannte Schwarz der Optimismus. Das mit dem Vorstoß 21. … h4? eingeleitete Figurenopfer auf g4 stellte mich vor keine größeren Probleme. Nach sehenswerten Verwicklungen gab sich Timo Sträter im 45. Zug geschlagen.

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