Ich bin drin (6)

Gerhard allein im Blog. Dieses Gefühl hatte ich noch vor Kurzem. Mittlerweile geht hier die Post ab. Viele Schachfreunde haben sich ein Herz gefasst und schütten dasselbe in Form von Beiträgen und Kommentaren aus. Überwältigt bin ich von der großen Schar der Leser. Seitdem unser Admin Ende Oktober den Besucherzähler installiert hat, gibt es knapp 2.000 Klicks interessierter Schachfreunde. Unter denen sind offenbar viele Schachfreunde anderer Vereine. Dass z.B. Jürgen Juhnke meinen letzten Beitrag gelesen und kommentiert hat, hätte ich nie erwartet. Nicht nur Jürgen ist gerührt, ich bin es auch. Das motiviert mich, weiterhin in Nostalgie zu schwelgen. 

Wenn ich mich recht entsinne, ist es genau 30 Jahre her, dass ich Jürgen Juhnke zuletzt begegnet bin. Es war anlässlich einer Simultanveranstaltung, die die Stadtsparkasse Hannover im Jahre 1983 gesponsert hatte. Der damalige Schachweltmeister Anatoli Karpow trat gegen eine 12-köpfige hannoversche Stadtauswahl an. Außer Jürgen und mir waren z.B. Peter Panzer und Harald Behrens dabei. Harald konnte sogar gegen Karpow gewinnen. An Jürgens Ergebnis kann ich mich nicht erinnern. Meine Partie ging verloren, aber nicht etwa nach einseitigem Spiel, sondern nach einem bravourösen Match. Bevor ich dazu etwas schreibe, möchte ich euch ein Porträt Karpows in Form einer Tuschezeichnung zeigen. Dieses Porträt hat ein mir unbekannter Künstler gezeichnet. Ich bekam es Ende der siebziger Jahre von Robert Neuhoff geschenkt. Es zeigt den jungen Anatoli Karpow als er etwa 25 Jahre alt war. Karpow ist Jürgens und meine Generation. Mit seinem Geburtsjahr 1951 ist er allerdings das Nesthäkchen unter uns dreien.

Anatoli Karpow, Schachweltmeister 1975-1985 und FIDE-Weltmeister 1993-1999
Anatoli Karpow, Schachweltmeister 1975-1985 und FIDE-Weltmeister 1993-1999

Karpow, Anatoli – Streich, Gerhard

Weltmeister-Stadtauswahl Hannover, Hannover 1983

Schwarz am Zug. Stellung nach 34. Th1-e1
Schwarz am Zug. Stellung nach 34. Th1-e1

Die komplette Partie könnt ihr im Kommentar nachspielen. Ich zeige euch das Diagramm nach dem 27. Zug von Weiß. Es war die kritische Stellung. Ich verblüffte meinen großen Gegner mit 27…Tf4!? Instinktiv verzichtete Karpow auf die Annahme des Opfers und zog 28. Sg1! Damit waren meine unmittelbaren Angriffspläne vereitelt. Insgesamt zog Karpow binnen kurzer Zeit dreimal seinen Springer von f3 nach g1. Das nennt man wohl weltmeisterliche Verteidigung. Trotz des kleinlauten Rückzugs meines Turms blieb die Partie annähernd ausgeglichen. Im 37. Zug unterlief mir dann ein Patzer, wodurch ich einen Bauern verlor, für den ich keine Kompensation hatte. Wenige Züge später gab ich auf. Die Ursache des Patzers habe ich noch heute vor Augen. Es waren ja nur 12 Simultanpartien, von denen die meisten bereits beendet waren. Plötzlich stand Karpow vor mir. Ich hatte ihn nicht so schnell erwartet. Dass man einen Simultanspieler nicht warten lässt, ist Ehrensache. Ich machte den erstbesten Zug, der leider ein Fehler war. – Trotzdem war ich mit der Partie sehr zufrieden. Sie zeigt, dass auch ein Weltmeister nur mit Wasser kocht.

4 Gedanken zu „Ich bin drin (6)“

  1. Hallo Gerd,
    auch ich hatte damals einen Platz in diesem 21-Leute-Simultan bekommen. Allerdings nicht, weil ich zu den besten Spielern Hannovers zählte, sondern weil ich bei einem Quiz duch ca. 10 hannoversche City-Schaufenster die Höchstpunktzahl erreicht hatte und zudem Losglück hatte. Es gab einen Spieler, der seinen bereits zugesagten Platz nicht bekam und natürlich unglücklich von dannen zog!

    Anatoli Karpov spielte damals als Weltmeister zu horrenden Konditionen ausschließlich 20er Simultan und hatte eine beeindruckende Bilanz. Platz 21 ging an eine Sponsorin, die nach 7 Zügen galant mit einem Remis davonkam.

    Meine Partie war kein Glanzstück. Der Weltmeister blieb dreimal für mehr als Sekunden an meinem Brett – drei Schlüsselzüge natürlich. Nach etwa 35 Zügen war für mich Schluss. (Einer der Gründe, dass Karpov nach 37 Zügen soooooo schnell wieder bei Gerd am Brett stand, s.o.)

    Ich erinnere mich, dass auch Achim Cablitz (SFH), Ionut Buzbuchi (damals HSK) und Thomas Thannheiser (Ex-Svg, heute Lübecker SV) dabei waren, vermutlich auch Friedmar Schirm (Ex-HSK, heute Hameln). Ionut verlor damals nicht, es war nach meiner Erinnerung ein Remis. Über Ionut und seine bewegte Historie könnte man wohl einen eigenen Blog starten (google nennt Euch nur den aktuellsten Grund dazu).

  2. Beim königlichen Spiel stehen die Damen noch etwas abseits

    Beim Stöbern in meinem Archiv bin ich auf einen Artikel meiner Tageszeitung gestoßen, der diese Überschrift trägt. Der Artikel wurde am 18. April 1984 veröffentlicht. Darunter steht in etwas kleineren Lettern: Drei Spielerinnen müssen sich beim Polizei-Schach-Club gegen 88 Kontrahenten durchsetzen.

    Schon damals habe ich den Artikel als „bescheuert“ empfunden. Der Grund: Frauen- und Karpow-Bashing. „Sind nun analytisches Denken, Nervenstärke und theoretisches Können Eigenschaften, die vornehmlich das starke Geschlecht auszeichnen? Sind Frauen zum Schach ganz einfach zu dumm?“, fragt der Autor. Das sage zwar niemand im PSC, aber der damalige Vereinsmeister Ullrich Ahlvers könne sich an die Vorstellung „Frauen und Schach nicht recht gewöhnen“ und verweist auf Anatoli Karpow, der es ein Jahr zuvor bei der Internationalen Deutschen Meisterschaft in Hannover abgelehnt habe, gegen Frauen überhaupt erst anzutreten.

    Beate Lompa war die Bezirksmeisterin von 1981. „Ruhig und konzentriert sitzt sie jeden Dienstagabend in der Kantine der hannoverschen Polizeidirektion, um ihre Gegner breitzuschieben.“ Der 20-jährigen sei jeder Zug recht, um ihre männlichen Konkurrenten mattzusetzen. – Im Text steht wörtlich „der Bezirksmeister der Damen“. Von wegen „die Bezirksmeisterin“.

    Und dann wird noch der PSC-Vorsitzende Fritz Niemitz (er verstarb im vergangenen Jahr) nach den finanziellen Möglichkeiten seines Vereins im Falle eines Aufstiegs gefragt. „Wir können uns zu Werbezwecken keinen Karpow einfliegen lassen“, umreißt Niemitz die Situation. Doch der amtierende Weltmeister aus der Sowjetunion, der im vergangenen Jahr in Hannover nur ganz knapp (!) Turniersieger wurde, steht bei den PSC-Mitgliedern ohnehin nicht im besten Ruf. „Keine Persönlichkeit, kein Feuerwerk“, meint Vereinsgründer Friedrich Wilhelm Böttcher unter zustimmendem Nicken.

    „Bullshit“, meinte Gerhard anno 1984. Der Autor war mir damals unbekannt. Heute geht mir ein Licht auf. Er heißt Jörg Kürschner. Dieser Artikel ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein Journalist sein eigenes Weltbild an den Mann und gegebenenfalls an die Frau bringt.

    Übrigens gibt es dazu ein großes, gelungenes Foto von Gerhard Heidorn mit der falschen Erklärung: „Mitglieder des Polizei-Schach-Klubs beim Mannschaftstraining“. Es handelte sich stattdessen um ein Blitzturnier. In Großbuchstaben steht da noch: HIRNARBEIT IN REIH UND GLIED. Wow! Ob das frauenfeindlich gemeint war, überlasse ich eurer Fantasie.

    1. Noch ein paar Gedanken zum vorbeschriebenen Artikel von 1984:

      Anatoli Karpow wurde nur (!!) ganz (!) knapp (!) Turniersieger, schrieb Jörg Kürschner. In Wirklichkeit war das ein souveräner Turniersieg. Ich war live dabei. Wer nicht dabei war und auf die Tabelle schaut, wird feststellen, dass Karpow ausgerechnet gegen den Tabellenletzten Wolfram Hartmann (SC Bamberg) verloren hatte. Das geschah gleich in der ersten Runde. Im Anschluss holte der Weltmeister 11:3 Punkte und gewann auch gegen seinen ärgsten Verfolger. Mit dabei und durchaus erfolgreich war Herbert Bastian, Ex-Präsident des DSB.

      Dass ein Turniersieger in der ersten Runde gegen das spätere Schlusslicht verliert, dürfte in der Schachgeschichte nicht allzu oft vorgekommen sein. Die Partie kann man an mehreren Stellen im Netz nachspielen. Ich habe diese ausgesucht.

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