Schach vor 50 Jahren – von Gerhard Völpel

Anm. der Redaktion: Am vergangenen Wochenende meldete sich unser Ehrenmitglied Gerhard Völpel (Jahrgang 1933) bei mir und richtete seine besten Wünsche zum Vereinsjubiläum aus. Er schrieb einen Artikel zum Schach vor 50 Jahren, der hier nun nachfolgend unverändert erscheint.

Schach vor 50 Jahren

in der Schachvereinigung Hannover (SVH)

Vor 50 Jahren gab es die SF. Hannover noch nicht. Die nun schon seit Jahren unter diesem Namen fusionierten Vereine Sf. Badenstedt und Schachvereinigung Hannover waren noch selbständig.

Vor 50 Jahren gab es noch keine Schach-Bundesliga, Tigran Petrosjan war Weltmeister, der 25jährige Bobby Fischer verbreitete Furcht und Schrecken, und die Zahl der deutschen Großmeister konnte man an den Fingern einer Hand abzählen.

Niemand besaß einen Computer, es gab jedoch das Gerücht, daß der Exweltmeister Botwinnik an einem Schachcomputerprogramm arbeite. Daß uns jemals ein Computer schlagen könnte, erschien uns völlig unmöglich.

Das Ziel der SVH. war es, in die damals höchste Klasse, die „Spielgemeinschaft Nord“, aufzusteigen. So kam es im August 1965 in Neumünster zu einem denkwürdigen Aufstiegsstichkampf zwischen dem dortigen Schachverein und der Mannschaft der SVH. Um nicht nach den Strapazen einer langen Anfahrt antreten zu müssen, war man schon am Tag vorher am Spielort eingetroffen, wo. man nun am Abend vor dem Kampf noch ein Weile gemütlich beisammen saß. Die sehr Pflichtbewußten verabschiedeten sich gegen 22.00 Uhr aus der Runde, während einige, ungeachtet der zu erwartenden schweren Partie, leichtsinnig noch bis Mitternacht beim Bier ausharrten. Am anderen Tag ging das wichtige Aufstiegsspiel denn auch mit 3 : 5 verloren. Die früh zu Bett gegangen waren, gaben die Punkte ab. Im Jahr darauf gelang jedoch der Aufstieg.

Die „Spielgemeinschaft Nord“ war vor 50 Jahren eine relativ neue Organisation, in der die 9 stärksten Mannschaften aus Schleswig Holstein, Hamburg, Bremen und Niedersachsen zusammengefaßt waren. Sie war durch die Initiative des Schachklubs Hannover (HSK) entstanden, der weit vorausschauend erkannte, daß es eine Konzentration des Spitzenschachs geben müsse. Später entwickelte sich aus dieser Idee die heutige Bundesliga.

In der Spielzeit 1967/68 gehörten folgende Mannschaften dieser Spielgemeinschaft Nord an  SG. Kiel,  SV Lübeck,  SG. Hamburg,  Concordia (Palamedes) Hamburg, SK. Hamburg; SK. Bremen–Ost, SG. Neumünster  SK. Hannover,  SV Hannover

In dieser Spielklasse dominierte meist unser Nachbar, der SK. Hannover, während die SVH meist gegen den Abstieg kämpfte, leider oft erfolglos.

In der Saison 67/68 jedoch erreichte die Mannschaft nach 3 Siegen (5:3 gegen Concordia Hamburg, 4,5:3,5 gegen Neumünster und Kiel) und einem Unentschieden (gegen SK. Hamburg) mit 7:9 Punkten sogar den 6. Platz.

Mit 14:2 Punkten wurde der HSK norddeutscher Mannschaftsmeister und spielte anschließend in einer Endrunde um die deutsche Mannschaftsmeisterschaft.

Zudem ergab sich in dieser Saison vor 50 Jahren sogar das Vergnügen, den für Kiel am 1. Brett spielenden weltbekannten, aber schon 72-jährigen Großmeister Fritz Sämisch im Punktspiel gegen die Schachvereinigung antreten und verlieren zu sehen. Ein Jahr später aber reichten erzielte 6 Punkte nur zum vorletzten  Platz,  der  den  Abstieg  mit 6 : 10 Punkten bedeutete.

Mit folgenden Mannschaftsaufstellungen wurden in diesen Jahren die Punktspiele bestritten:

1966/67:  1.Sachmann,  2. Völpel,  3. Spanier,  4. H. Brodhuhn,  5. Michel, 6. Bantleon, 7. Hincke, 8. J. Juhnke,  9. A. Friedrich,  10. Gigas

1967/68:  1. Völpel,  2. J. Juhnke,  3. H. Brodhuhn,  4. Spanier,  5. Bantleon, 6. Michel, 7. Sachmann, 8. K. Juhnke,  9. Hincke,  10. A. Friedrich

1968/69:  1. J. Juhnke,  2. Völpel,  3. Rosin,  4. Sachmann,  5. Spanier,  6. K. Juhnke, 7. Bantleon,  8. Michel,  9. H. Brodhuhn,  10. Hincke

Aufstellungsprobleme gab es damals kaum. Fast immer stand die komplette Mannschaft zum Punktspiel bereit.

Nicht einfach war es außerdem in dieser Zeit, die weiten Fahrten zu den Auswärts-spielen (z. B. nach Kiel, Lübeck, Neumünster, Hamburg) zu organisieren. Der Besitz eines Fahrzeugs war damals noch lange keine Selbstverständlichkeit, und es war nicht leicht, 2 PKWs für die Auswärtsspiele zu finden. Oft half dabei der gute Geist der SVH, der Kassenführer Erwin Unverhau. Der übergab einem der Mannschaft am Spielabend vorher seinen Autoschlüssel, gab den Standort seines Wagens an, und am Sonntagmorgen trafen sich dort vier Spieler und fuhren damit los. Abends stand das Fahrzeug. wieder an der alten Stelle. Die Benzinkosten betrachtete der Besitzer als seine  Privatangelegenheit.

Unvergessen bleiben auch die Einladungen, die Erwin U. bei Heimspielen durch den SVH-Mannschaftsführer an die jeweilige Gästemannschaft richten ließ. Auf seine Kosten gab es in unserem Heimspiellokal (1967/68 Gaststätte „Entenfang“ am Entenfangweg) für alle Beteiligten (Betreuer eingeschlossen) eine deftige Schlachteplatte  als  Belohnung  oder  Trost.

Allerdings durfte nicht bekannt werden, wer diese bezahlte. Die Vereinskasse hatte jedenfalls damit nichts zu tun.

Anzumerken ist jedoch, daß damals, vor fünf Jahrzehnten, das Niveau der Partien in allen Klassen etwas niedriger war  als  heute.  In  den  folgenden  Jahren  bewirkten u. a. die zahlreichen Werke spezieller Schachliteratur, immer stärker werdende Computerprogramme, das reiche Angebot an Turnieren aller Art sowie der Zuzug ausländischer Großmeister einen rasanten und erfreulichen Anstieg der Spielstärke auf allen Ebenen.

Was jedoch bis heute konstant bleibt, sind schöne Erinnerungen an sehr interessante schachliche Erlebnisse – nicht nur zu den Mannschaftskämpfen –  im Vereinsleben der Schachvereinigung Hannover

Mai 2019

Gerhard Völpel

5 Gedanken zu „Schach vor 50 Jahren – von Gerhard Völpel“

  1. Vor 45 Jahren

    … kam es in der 3. Runde der Niedersachsenliga zur denkwürdigen Begegnung: Gerhard (SF Badenstedt) gegen Gerhard (SVg. Hannover). Niemand ahnte damals, dass die Vereine zur Jahrtausendwende miteinander verschmelzen würden. Gerhard Völpel konnte am 3. Brett gegen mich gewinnen, was unserem klaren Sieg mit 6:2 keinen Abbruch tat. Wir Badenstedter spielten eine souveräne Saison und belegten am Ende den 1. Platz, der uns zur Teilnahme an der Aufstiegsrunde zur Regionalliga Nord berechtigte. Die wurde mit 5 Vereinen ausgetragen: SF Hamburg, Lasker Steglitz II, Bremer SG, Post Lübeck und wir. Da wir die beiden Auswärtskämpfe in Hamburg und Berlin vergeigten, belegten wir am Ende den 3. Platz. Die Zeit für den Aufstieg war noch nicht reif.

    Über den Beitrag von Gerhard Völpel freue ich mich sehr. Er ist ein Beleg dafür, dass Schach ohne unvergessliche Geschichten belanglos wäre. Sowohl vor 50 als auch vor 45 Jahren war der Ehrgeiz unter uns Schachspielern nicht geringer als heute, gleichwohl gibt es einen entscheidenden Unterschied. Den seht ihr anhand der beiden Dokumente, die ich oben angefügt habe. Das zweite ist ein Auszug aus unserer damaligen Vereinszeitung, dem Schachkurier. Fällt euch etwas auf? Richtig! Hinter den Namen stehen keine Wertungszahlen, obwohl es die bereits gab (Ingo-Zahlen). Heute kriegt jeder zu jeder Zeit einen Stempel aufgedrückt, ob er/sie will oder nicht. Es gibt solche und solche Werte. Die menschlichen Werte treten durch diese Entwicklung leider in den Hintergrund.

  2. Ich habe erst 1980 mit dem Vereinsschach angefangen. Mit vielen der genannten Spieler habe ich in den 80ern noch die Klingen kreuzen dürfen, auch Erwin Unverhau. Sie alle liebten das Schachspiel, das merkte man in der persönlichen Begegnung!

    Die Gebrüder Juhnke sind übrigens noch immer in den Ligen aktiv – sagenhaft!

  3. Gerhard fuhr damals schon seit vielen Jahren einen uralten Käfer mit unterteilter Heckscheibe.Der jeweilige Beifahrer musste als Co-Pilot fungieren,denn es wurde ja noch mit Straßenkarten gearbeitet.- Es war eine reine Amateurmannschaft in der alle berufstätig waren.Ausnahme waren mein Bruder Jürgen und ich,die wir damals unser Abitur machten und anfingen zu studieren.- In meiner Chessbase-Datenbank habe ich noch alle meine Partien aus den Vereinsmeisterschaften gegen die von Gerhard genannten Spieler.Erst nach einigen Niederlagen ist es mir gelungen gegen Gerhard zu gewinnen.
    Viele der damaligen hannoverschen Vereine gibt es schon lange nicht mehr unter den damaligen Namen.Mit Wehmut denke ich an die vielen Spieler von damals zurück.Hannoversche Schachspieler treffe ich fast nur bei Mannschaftskämpfen.Im letzten Winter traf ich den alten Badenstädter Gerhard Streich im Freizeitheim Linden.-
    Mein Bruder Jürgen reist als Rentner von Seniorenturnier zu Seniorenturnier,während ich mich seit einiger Zeit mit Jugendabeit bei der Bremer SG befasse.Unser dritter Bruder,Michael,sollte hier auch genannt werden,obwohl er nicht bei der SVH war.Er arbeitet seit Jahrzehnten ehrenamtlich in seiner Freizeit für die Deutsche Schachjugend und die Schulschachstiftung.

    1. Es siegte die Familie Juhnke (SVg Hannover) im Kollektiv

      Kannst du dich daran erinnern, Karl? Es war der Buß- und Bettag 1967. 52 Schachfreunde waren ins Spiellokal des BSW Leinhausen gekommen. Jeder von denen wollte Blitzmeister des Schachbezirks I werden. Die ersten Drei aus den 5 Vorgruppen qualifizierten sich für die Endrunde. Als Dritter punktgleich mit dem Vierten schafftest du die Qualifikation um Haaresbreite. Die Endrunde wurde zu deinem Triumph: Erster mit 11,5:2,5 Punkten vor deinem Bruder Jürgen 10,5 Pkt, Manfred Heilemann und Gernot Greb je 10 Pkt. Die Worte meiner Überschrift stammen vom damaligen Spielleiter Ralf Müller-Ernesti. Bei der parallel ausgetragenen Jugendbezirksblitzeinzelmeisterschaft wurde ich übrigens Zweiter hinter dem Schachfreund Fichte.

      Deinem Bruder Jürgen bin ich für den Beitrag Arbeiterschach dankbar. Dass er nun Senioren-Turnier-Hopping betreibt, sei ihm vergönnt. Für mich wäre das nichts. Da lobe ich mir deine Ausrichtung: Jugendschach. Damit es in 50 Jahren noch glückliche Menschen gibt, die auf ein erfülltes Schachleben zurückblicken können.

  4. Buß- und Bettag vor 55 Jahren

    Wenn wir heute den Vornamen Karl hören, denken wir unwillkürlich an den Nachnamen Lauterbach. Vor 55 Jahren war das anders. Jeder Schachspieler in Hannover hätte sofort auf Juhnke getippt. Und weil damals der Buß- und Bettag noch ein Feiertag war, gehörte die Bezirksblitzeinzelmeisterschaft zum Pflichtprogramm pflichtbewusster Schachspieler. Bei *innen bin ich mir nicht sicher. Karl holte den Titel vor seinem Bruder (guckt ihr meinen Kommentar zuvor). Solch einen Erfolg vergisst man nie. Das gilt auch für meinen zweiten Platz bei den Jugendlichen. Dabei kann ich mir ein Wortspiel nicht verkneifen: Ich wurde hinter die Fichte geführt!

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