Schatzmeister fordert Haarwuchsmittel!

Den Aufmacher habe ich mir nicht ausgedacht. Das erkennt ihr an folgendem Untertitel:

(große Fettdruckschlagzeile wie in einer 10-Pfennig-Zeitung), darunter Foto des Schödeldaches = Glatze von oben mit eingezeichneten Jahresringen, die deutlich zeigen, wie in den letzten 3 Jahren die Haare immer schneller schwinden, und dann in normaler Schriftgröße der Text, der mit bewegten Worten schildert, wie der arme Schatzmeister sich ständig die Haare rauft, weil seine Geldlieferanten – die Vereine, Kreise oder Bezirke – ihn nach dem glanzvollen Osterkongreß schmählich mit ihren Beiträgen aufsitzen lassen.

Yeah! Es handelt sich um das Rundschreiben Nr. 3 des Niedersächsischen Schachverbands mit Datum vom 15. August 1963. Das war 6 Jahre vor der ersten Mondlandung und ein Jahr bevor ich zahlendes Mitglied im Deutschen Schachbund wurde. Die 10-Pfennig-Zeitung gibt es noch immer, wenngleich in neuer Währung. Mit der Zahlungsmoral unter Schachspielern ist es wie eh und je bestellt, nur etwas hat sich geändert: der Humor unter Schachfunktionären. Oder könnt ihr euch vorstellen, dass ein zeitgenössischer Schatzmeister einen solchen Aufruf (leicht gekürzt) verfassen würde?

Wenn mein Rundschreiben-Beitrag so oder ähnlich mit Schlagzeilen und Bildern aufgemacht würde, fände er vielleicht die Leser, die ihn jetzt, bes. in einem umfangreichen Rundschreiben einfach überspringen, weil sie mit Recht darin keine großen Erfolgsmeldungen, sondern nur die üblichen und lästigen Klagen über die gesunkene Zahlungsmoral vermuten.

Spaß beiseite, es ist mir leider wieder tierisch Ernst mit meiner Mahnung! […] Sollte ich die „Einzahlungspflichtigen“ öfter mahnen?, und zwar einzeln? – Das sollte ich vielleicht tun, und die unterlassenen Einzelmahnungen könnte man mir mit Recht zu Last legen! Aber was würden Sie an meiner Stelle tun, wenn Sie in der knappen Freizeit, die Ihnen Ihr Beruf lässt,
1. Ein Haus bauen wollen (was viel Zeit kostet und viel Aufregungen mit sich bringt)
2. Einen großen Garten beim Dienstgrundstück in Ordnung zu halten haben, und
3. Ihrem Hobby zuliebe ein Ehrenamt übernommen haben, das nicht nur einige zeitraubende Arbeit verlangt, sondern auch Ärger macht und Ihnen oft genug nicht gedankt wird, durch Versagung der Mitarbeit.

Ich bin überzeugt, daß Sie fast einhellig antworten werden: Kein Haus bauen, für den Garten, den Sie nicht sich durch Verpachtung sich vom Halse schaffen können, einen ständigen Gartenpfleger einstellen und im übrigen die ganze Freizeit dem Ehrenamt widmen!! Glücklicherweise habe ich auch einige treue „Kunden“, die anderer Ansicht sind, die der Organisation das pünktlich geben, was der Organisation ist. Diese liebenswerten Schachfreunde haben mich bisher am Leben gehalten, aber leider schrumpft auch ihre Zahl fast in dem Tempo meines Haarschmuckes. […]

Vom 19.7. bis 16.8. bin ich zur Kur in Bad Mergentheim, um meinen gallenlosen Bauch aufmöbeln zu lassen. Gelder kann ich von da aus zwar verschicken, aber ich wäre maßlos überrascht und auch sehr erfreut, über kurze Postkartengrüße, auf denen unten vermerkt ist, „Wir haben den Verbandsbeitrag überwiesen!“

Im übrigen bin ich nichtsdestotrotz mit freundlichen Schachgrüßen Ihr Ihnen sehr zugetaner, leider manchmal auch recht geplagter Schatzmeister
W. Gerhard

Mit dem Haarausfall ist es wie mit den Reiskörnern auf dem Schachbrett. Nur umgekehrt. Dabei könnten Schachfunktionäre heutzutage mit Pilzköpfen wie einst die Beatles herumlaufen, wenn sie sich von den „Alten Zöpfen“ trennen würden.

Was aus dem Schachfreund W. Gerhard geworden ist, weiß ich nicht. Gleichwohl hat er den richtigen Anstoß gegeben. Radrennfahrer haben das längst erkannt und lassen sich vorsorglich behandeln. Zum Beispiel am 1. Mai 2019 in Frankfurt am Main:

Doping für die Haare!
Niedersächsische Landesmeisterschaft 1977 in Wolfenbüttel