Als in Mexiko die Sitzkissen flogen

Am Donnerstag spielen Jogis Jungs gegen Mexiko im Halbfinale des Confed Cups. Vor drei Jahren habe ich anlässlich der Fußball-WM in Brasilien die Assoziationen zwischen Fußball (Soccer) und Schach (Chess) = Soccer-Chess thematisiert. Der Start meiner 7-teiligen Serie erfolgte am 11. Juni 2014 mit diesem Beitrag:

Adlerflügel statt Sitzkissen vor der Mexikanischen Botschaft in Berlin
Adlerflügel statt Sitzkissen vor der Mexikanischen Botschaft in Berlin

https://www.schachfreunde-hannover.de/soccer-chess/

Mexiko ist das Stichwort. In Niedersachsen haben am Freitag die Sommerferien begonnen. Zeit genug für Schüler, Lehrer und ältere Semester, sich an einen längst vergessenen Skandal zu erinnern, der 1968 in Mexiko stattfand. Im Anschluss werde ich eine passende Schachaufgabe präsentieren.

 

„Das Sitzkissenfinale – Olympisches Fußball-Finale 1968 in Mexiko: Ungarn-Bulgarien. Und der größte Skandal dieser Olympischen Spiele. Ein Spiel, das vierzig Minuten normal verlief, dann umkippte und schließlich im Raritätenkabinett landete. Wie konnte das geschehen?

Die Bulgaren hatten in der 20. Minute das 1:0 durch Dimitrov vorgelegt, und dieser Vorsprung entsprach durchaus den gebotenen Leistungen. Die Bulgaren, körperlich stärker, energischer, waren ihrem Gegner immer um einige Längen voraus. Dann kamen die Ungarn innerhalb von sechzig Sekunden, zwischen der 41. Minute und 42. Minute, zu zwei Toren; und zwei Minuten später traf Schiedsrichter Diego de Leo mit seinen wunderlichen Entscheidungen ins Schwarze.

Platzverweis für Dimitrov nach einem Foul an Nosko, Platzverweis für Ivkov nach einem harten Einsatz gegen Dunai, Platzverweis für Christov nach einer unsportlichen Attacke (er warf Herrn Diego de Leo den Ball an den Kopf) gegen den Schiedsrichter. Innerhalb von zwei Minuten war die bulgarische Mannschaft also auf acht Spieler reduziert, wurde die Begegnung zur Farce, stand der Unparteiische vor einem Chaos. […]

Das Publikum übernahm nach der Pause die Regie. Sitzkissen flogen zu Hunderten von den Rängen, übersäten den Rasen, wurden von Kindern weggeräumt, kamen in neuen Flugwellen zurück. Die Bulgaren hätten mit Keulen schwingen können, es wäre ihnen verziehen worden. Die Ungarn schossen zwei weitere Tore – 4:1 war der Endstand – man pfiff. Sie verfehlten das Tor, man pfiff, sie spielten zaghaft, man pfiff. Und als der Ungar Juhasz in der 85. Minute einmal weniger zaghaft spielte, pfiff der Schiedsrichter. Platzverweis, der vierte in diesem Spiel.

Man mochte vermuten, Diego de Leo pfiff in diesem Fall ein wenig, um seine Haut zu retten. Es nützte nichts. Als das Schiedsrichtergespann vom Platz ging, wurden die Sitzkissen-Würfe gezielter. Unwürdiger Abschluss eines Spiels, das keins mehr war. Man wird das olympische Fußball-Turnier in Mexiko – leider – immer als Skandal werten, den ein hilfloser Schiedsrichter unfreiwillig verschuldete.“ (Quelle: Mexiko 1968 Das Offizielle Standardwerk des NOK).

Beim Confed Cup 2017 zeichnet der Schiedsrichter im Zweifel einen Bildschirm in die Luft. Die Zweifel werden anhand eines Videobeweises zerstreut oder nicht. Ob deshalb seltener die Fäuste unter den sogenannten Fans fliegen, bleibt abzuwarten. Fliegende Sitzkissen sind jedenfalls Geschichte.

Jetzt seid ihr dran. Stellt euch vor, die folgende Stellung entspricht dem olympischen Fußball-Endspiel 1968 in Mexiko. Das (Spieler-)Material ist ausgeglichen. Die Partie steht auf der Kippe.

Ungarn – Bulgarien nach dem x-ten Zug von Schwarz

Mexiko 6

Die Wildweststellung ist dem Schiedsrichter ein Graus. „So kann ich nicht arbeiten“, sagt er sich und stellt gleichzeitig einen weißen Stein und drei schwarze Steine vom Feld. Weiß setzt anschließend in einem Zug matt. Welche Steine müssen vom Brett verschwinden, damit dieses durch den Schiedsrichter provozierte Hilfsmatt realisiert wird?

Der Videobeweis:

Mexiko 7Matt nach Sd5-f6

5 Gedanken zu „Als in Mexiko die Sitzkissen flogen“

  1. Eigentlich kommt als mattgebende Figur nur der weiße Damenspringer in Betracht. Also müsste der Schiri Bg7 und drei Läufer vom Brett in die Schachtel schicken.

      1. Der Ordnung halber erkläre ich meine Punktevergabe. Schließlich soll hier alles mit rechten Dingen zugehen. Dazu gehört eine der damaligen Zeit angepasste Belohnung. – Onkel Lou (Lou van Burg alias Loetje von Weerdenburg) hatte via TV mit dem „Goldenen Schuss“ eine Unterhaltungssendung populär gemacht, die mangels Alternative zum Straßenfeger wurde. Einschaltquote: bis 72 %. „Kimme, Korn – ran“, wurde zum geflügelten Wort. Die Deutschen feierten ihn als „Mr. Wunnebar“. Seine auf naiv getrimmte Assistentin durfte die Punkte verkünden, die der „Kandidat“ à la Wilhelm Tell getroffen hatte.

        Historiker rätseln bis heute darüber, ob die 68er Bewegung in Deutschland trotz oder wegen dieser Fernsehshow entstanden ist.

        Hätte ich mich auf ein Fußballereignis berufen, das zu einer Zeit stattfand, als der Kaiser den dritten WM-Titel für Deutschland holte, hätte Hans-Joachim Markus von mir Länderpunkte erhalten. Wie viele? Da müsst ihr Hugo Egon Balder fragen.

      2. Back to the Sitzkissen. Ich kann mich noch gut an den Sitzkissenverleih im Niedersachsenstadion erinnern. Nach seiner aktiven Laufbahn als Profi bei Hannover 96 hatte sich Otto Laszig (*28.12.1934 †10.10.2014) mit dem Verleih von Sitzkissen ein zweites Standbein gesichert. Mit dem Zweiten steht man besser, vor allem als Fußballer. Otto Laszig war später als Trainer in der Region Hannover tätig. – Die Dinger konnte man sich übrigens für eine Mark leihen. Als Wurfgeschosse waren sie auch in Hannover beliebt.

  2. ¡Viva México!

    Wisst ihr, welchen Platz die Mexikaner 1968 beim olympischen Fußballturnier im eigenen Land belegt haben? Sie wurden Vierte nach einer 0:2 Niederlage gegen Japan im Spiel um die Bronzemedaille. Das gleiche Schicksal (4. Platz) könnte Mexiko jetzt beim Confed Cup in Russland widerfahren. Dabei waren sie gestern die bessere Mannschaft. Die Statistik spricht für Mexiko:

    Ballbesitz: 59 % – 41 %
    Torversuche: 18 – 10
    Schüsse aufs Tor: 10 – 7
    Eckbälle: 11 – 4

    Was zählt, sind die Tore. In diesem Punkt haben die Mexikaner versagt. Wir Schachspieler kennen das. Gut gespielt, trotzdem verloren. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Roberto Blanco in Wirklichkeit uns Schachspieler gemeint hat, als er einst den „Puppenspieler von Mexico“ besang. Der Songtext sagt alles:

    Der Puppen(Schach)spieler von Mexico
    war einmal traurig und einmal froh
    und wie er fühlte
    so war sein Stück
    nicht immer endet ein Spiel im Glück.
    Jeden Abend kamen viele
    um ein neues Spiel zu seh’n
    und sie lachten oder weinten
    das Ende war nicht immer schön.

    Tja, das unschöne Ende. Das sollte niemals im Suff enden. Für den guten Zweck ist ein Schnaps jedoch erlaubt. Einen Tomatenschnaps namens Mexikaner, der scharf sei, widerborstig schmecke und Kopfschmerzen hinterlasse, gibt’s jetzt auf dem Hamburger Kiez. Der sei gegen Trump gerichtet, berichtet die ARD. Ob der Mexikaner auch gegen unschöne Niederlagen beim Schachspiel hilft? – Hannoveraner habe für solche Zwecke die Lüttje Lage erfunden. Damit kann man sich das größte Schützenfest der Welt schöntrinken, das heute Abend beginnt.

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