Noch’n 70. Geburtstag

Eine wahre Geschichte. Mai 1963. Ein junger Mann wird Mitglied bei den Schachfreunden Badenstedt. Er ist 18 Jahre alt. Es ist eine Zeit des Umbruchs, doch dauert es noch 5 Jahre, bis die 68er von sich reden machen. Gerade ist das Zweite Deutsche Fernsehen auf Sendung gegangen. In schwarz-weiß versteht sich; um 23:30 Uhr ist Sendeschluss. Die Fußball-Bundesliga spielt ihre 1. Saison. Timo Konietzka schießt für Dortmund das 1. Tor in der 1. Minute gegen Werder Bremen. Der FC Bayern München muss zunächst draußen bleiben. Feindbilder gibt es dennoch genug. Der Kalte Krieg läuft auf Hochtouren. Der Alltag ist überschaubar. Die Beseitigung einer Laufmasche kostet 5 Pfennig und ein Liter Benzin 59 Pfennig. „Coffee to go“ ist noch nicht erfunden, dafür hängt am Christbaum mehr Lametta.

Dieser junge Mann merkt recht bald, dass ihm das Organisieren besser liegt als das Schachspielen. Alsbald beginnt seine beispiellose Karriere als Schachfunktionär. Er ist kein Revoluzzer, sondern ein behutsamer Reformer, der auf eloquente Weise seine Ideen durchsetzt. Meistens, jedenfalls. Doch dazu später mehr. – 1964 betrete ich die Badenstedter Schachbühne. 15 Jahre bin ich alt und damit das jüngste Mitglied. Heute bin ich fast das älteste, aber das nur nebenbei. Die folgenden zwei Dekaden sind von vielen Gemeinsamkeiten geprägt. Nach meiner unfreiwilligen Bundeswehrzeit zog ich als Junggeselle nach Anderten in meine erste eigene Wohnung. Einen Steinwurf entfernt wohnten er und Wolfgang Rosin. Beide hatten jung geheiratet. Ob es am jeweiligen Nachwuchs lag, weiß ich nicht. Es war eine intensive Zeit der Selbstfindung mit zahlreichen Diskussionen über Gott und die Welt. Unser Schachverein war das Bindeglied. Alle profitierten davon. Ein gemeinsamer Kurzurlaub in Damp 2000 mit mehreren Schachfreunden nebst Lebensgefährtinnen ist ein Beleg dafür. Ein anderer Beleg ist die folgende Anekdote.

Es war ein Abend im Jahr 1973. Als ich gegen 20:00 Uhr nach Hause kam, wollte ich zum Abendbrot ein Hühnerei verspeisen. Ich setzte einen mit Wasser gefüllten Kochtopf auf die Elektroherdplatte, legte ein Ei hinein und drehte den Schalter auf die Höchststufe. Plötzlich klingelte das Telefon. Er war dran: „Wir müssen über Schach reden. Kannst du gleich zu mir kommen?“ Ich folgte prompt, machte die Küchentür zu und ging zu ihm hinüber. Das Ei hatte ich vergessen. Gegen 23:00 Uhr kam ich zurück und legte mich gleich ins Bett. Als ich am nächsten Morgen die Küche betrat, dachte ich, mich trifft der Schlag. Herdplatte und Kochtopf glühten feuerrot wie der Krater des Ätnas während einer Eruption. Das Ei war explodiert und hatte sich in tausend Stücke an Decke und Wänden verteilt. – Der Schaden war gering. Mein Aussetzer bleibt indes unvergessen.

Die Odyssee, die unser Schachverein notgedrungen mitmachte, führte zu Fragen nach der Ausrichtung. Fusion mit den Vereinen x oder y? Spiellokal im Raschplatzpavillon oder in einer Kneipe? Er konnte sich nicht durchsetzen und nahm dies zum Anlass, zu unserem Erzrivalen, dem Hannoverschen Schachklub, zu wechseln. Wenn man weiß, welche Hassliebe unsere beiden Vereine damals verband, war das ein krasser Schritt. – Das über 100-Jährige Flaggschiff HSK gibt es in der ursprünglichen Form nicht mehr. Mein Verein hat sich seine Identität trotz struktureller Veränderungen jedoch bewahrt. Wie Schiffbrüchige haben wir die Schachvereinigung auf unser Floß gezogen und dümpeln seitdem gemeinsam auf den Wattenmeeren der Schachwelt, wohlwissend, dass überall Untiefen drohen.

Anfang der 80er Jahre trennten sich unsere Wege. Seine Karriere als Schachfunktionär nahm Fahrt auf und führte ihn bis an die Schaltstellen des Deutschen Schachbunds. Folgende Auflistung, die vermutlich Lücken hat, zeigt seine verschiedenen Ämter, die er ihm Laufe der Zeit inne hatte und zum Teil noch hat.

•    Spielleiter Schachfreunde Badenstedt
•    1. Vorsitzender Schachfreunde Badenstedt
•    Spielleiter Niedersächsischer Schachverband
•    2. Vorsitzender Niedersächsischer Schachverband
•    1. Vorsitzender Niedersächsischer Schachverband
•    1. Vorsitzender Hannoverscher Schachklub
•    Schatzmeister Deutscher Schachbund
•    Vizepräsident Deutscher Schachbund
•    Geschäftsführer Wirtschaftsdienst GmbH des Deutschen Schachbunds
•    1. Vorsitzender Schachzentrum Bemerode

Als Dank für seinen unermüdlichen Einsatz wurde er zum Ehrenmitglied des Deutschen Schachbunds ernannt. Er wurde am 12.11.1944 geboren. Es ist der Jahrgang von Helmut Reefschläger, Martin Kind, Peter Brunotte und Anton Schlecker. Jetzt erfahrt ihr die Auflösung meiner „wahren Geschichte“ (analog Klassik Radio). Der Mann, der 1963 in unseren Schachklub eintrat, heißt: Heinz-Jürgen Gieseke.

Heinz-Jürgen ist überrascht: „Ja, is‘ denn heut‘ scho‘ Weihnachten?“
Heinz-Jürgen ist überrascht: „Ja, is‘ denn heut‘ scho‘ Weihnachten?“

Nein. Gerhard wünscht Dir zu Deinem 70. Geburtstag alles Gute!

14.09.2014 Entdeckertag in Hannover

Ja. 5 Jahre später: Gerhard wünscht Dir zu Deinem 75. Geburtstag alles Gute!