Gestern in Düsseldorf

Es gibt nur wenige Sportarten, die im Sitzen ausgetragen werden. Das Schachspiel und der Radsport gehören dazu. Womöglich war das ausschlaggebend für meine Leidenschaften, die sich in meinem Leben mal auf die eine, mal auf die andere Sitzposition fokussierten. Aber es gibt noch andere Parallelen zwischen beiden Sportarten; den Individualismus zum Beispiel. In den rund 30 Jahren als aktiver Radsportler – davon viele Jahre als lizensierter Radrennfahrer – habe ich auf meiner Rennmaschine etwa die Entfernung zwischen unserer Erde und dem Mond zurückgelegt. Nun bin ich – bildlich gesprochen – dort angekommen. Für eine Rückfahrt reicht die Lebenszeit nicht mehr. Die Lust am Zugucken ist mir geblieben. Deshalb bin ich gestern nach Düsseldorf gefahren.

Tour-01Nach 30 Jahren wurde der Start des größten Radrennens der Welt – die Tour de France – wieder nach Deutschland verlegt. Düsseldorf hatte sich beworben und den Zuschlag erhalten. Chapeau! Dazu gehört Mut, denn wir Deutschen sind nachtragend. Wenn Schlipsträger betrügen, verzeihen wir denen nach kurzer Zeit alles, aber wehe ein Sportler wird mit Doping in Verbindung gebracht. Der hat sein Leben lang verschissen; siehe den deutschen Tour-Liebling von einst: Jan Ullrich.

Unter Journalisten sind die Ressentiments nach wie vor groß. Das belegt der ganzseitige Artikel in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung. „Sein und Schein“ heißt die Überschrift. Den Inhalt könnt ihr euch denken. Die Lust am Miesmachen gehört zur Deutschen Seele. Apropos Lust. Der Madsack-Verlag hatte eine Umfrage in Auftrag gegeben und das Ergebnis vergangene Woche in der HAZ veröffentlicht. Ob die Lust der Deutschen auf die Fußball-WM 2018 in Russland wegen der Krim-Politik Putins vergangen sei, war die törichte Frage. Die Lust kommt und geht; siehe Confed Cup. Wer jetzt schon weiß, wie er sich in einem Jahr fühlen wird, ist entweder gefühlskalt oder indoktriniert.

Die Tour de France auf der Königsallee
Die Tour de France auf der Königsallee
Blick auf die Oberkasseler Brücke
Blick auf die Oberkasseler Brücke
Die Heinrich-Heine schippert im Tour-Look
Die Heinrich-Heine schippert im Tour-Look

In Düsseldorf war trotz des miesen Wetters von Ressentiments nichts, aber auch gar nichts zu spüren. Die Stimmung war prächtig. Rechtsrheinisch bin ich die ganze Strecke vier Stunden lang rauf und runter gelaufen. Die Menschen standen dicht gedrängt, es gab kaum Lücken.

Als die Werbekarawane vorwegfuhr, war der Himmel zwar dunkelgrau verhangen, hielt sich mit seiner Notdurft jedoch zurück. Das änderte sich, als die Profis zum Einzelzeitfahren auf die Strecke geschickt wurden. Fortan regnete es ununterbrochen. Trotzdem verharrten die Zuschauer unentwegt an der Strecke und feuerten im Minutentakt jeden vorbeirauschenden Radprofi lautstark an.

Ein BMC-Fahrer kurz vorm Ziel
Ein BMC-Fahrer kurz vorm Ziel

Die Organisation halte ich für vorbildlich. Schon im Hauptbahnhof war ein Informationsstand aufgebaut. Dort und an vielen anderen Stellen erhielt man kostenlos Stadtkarten und Broschüren. Die Sicherheitsmaßnahmen waren kaum spürbar. Das hatte ich anders erwartet. Taschenkontrollen und dergleichen gab es nicht. An der Rennstrecke waren gewaltige Brücken in Stahlgerüstbauweise errichtet worden. Die haben sich bewährt. Darüber hinaus gab es barrierefreie Übergänge. Neben verschiedenen VIP-Anlagen war für Behinderte ein Rollstuhlpodest aufgebaut. Public Viewing wurde an mehreren Stellen geboten.

Leere Fahrradständer soweit das Auge reicht
Leere Fahrradständer soweit das Auge reicht

Allerdings haben sich die Veranstalter mit den Fahrradabstellplätzen total verschätzt. Es gab insgesamt 19(!) zum Teil riesige für Fahrräder reservierte Flächen. Die blieben fast ungenutzt. Auch wenn das Wetter besser gewesen wäre, wären nur wenige Zuschauer zum Zugucken mit dem Fahrrad gekommen. Die Zahl der Besucher schätze ich auf 150.000. Das halte ich für einen großartigen Zuspruch, an dem viele ausländische Fans beteiligt waren. In den Medien wird von 500.000 Zuschauern berichtet. Diese Wunschzahl des Veranstalters ist – wie so häufig – völlig aus der Luft gegriffen.

Die sportlichen Ergebnisse könnt ihr den einschlägigen Berichten in den Medien entnehmen. Gestern war der Auftakt. Es folgen drei spannende Wochen. Den Franzosen sei Dank. Ihnen ist es nachhaltig gelungen, Sport, Kommerz und Kultur auf geniale Weise zu vereinen. Und das umsonst und draußen. In der Düsseldorfer Altstadt dominierten leider die Regenschirme. C’est la vie.

Tour-08In meiner Bildergalerie gibt’s ein paar Eindrücke von der Werbekarawane, die modern und spritzig daherkam.