Ich wünsch‘ mir noch ’n geiles Leben – ohne Schach

Als ich vor 6 Jahren mit meinem Rennrad ungebremst auf die Heckscheibe eines VW-Polo geprallt bin, habe ich danach eine Weile gespürt, was es heißt, tot zu sein. Da ist nichts. Nullkommanichts. Glaubt keiner Religion, die euch etwas anderes verspricht. Der Orbitaboden unter meinem rechten Auge war zertrümmert, aber er hat mir mein Leben gerettet. Anders erging es dem Seniorchef eines großen Möbelhauses: Robert Hesse. Er starb im Dezember letzten Jahres im Alter von 82 Jahren, als er mit seinem Auto auf eine Landmaschine prallte. Sein Tod hat mich betroffen gemacht. Im Jahr 2011 hatte ich die Ehre, Robert Hesse persönlich kennenzulernen. Er hat mir bei der Gelegenheit ein Buch über sein Leben und die Geschichte seines Unternehmens geschenkt. Es heißt: HESSE. Visionen für Menschen. Das Buch ist ausgezeichnet gemacht. Es ist gespickt mit persönlichen Erlebnissen des Seniorchefs und der Realisierung seiner Visionen. „Die Zukunft gestalten“, ist ein Stichwort. Wir können die Zukunft nur gestalten, solange wir leben. Das Leben kann von jetzt auf gleich vorbei sein. Gestern früh war ich mit der Bahn auf dem Weg nach Flensburg. Plötzlich kam die Meldung, dass die Strecke gesperrt sei, weil es in der Nähe von Rendsburg einen schweren Unfall gegeben habe. Ihr habt sicher davon gehört: Eine Regionalbahn war auf einen mit einer Baumaschine beladenen LKW geprallt, der auf einem Bahnübergang stehengeblieben war. Das hätte auch meinem Zug widerfahren können. Was dann?

1964 wurde ich Mitglied der Schachfreunde Badenstedt. Ich war 15 Jahre alt. Damit war ich der Jüngste im Verein, und ein Vorstandsmitglied hatte tatsächlich angesichts meines Alters Bedenken. Wer heutzutage mit 15 Jahren nicht den Großmeistertitel erworben hat, gilt in der Schachszene bereits als Loser. Die ersten Jahre im Schachverein waren prägend für mein Leben. Der Homo ludens unterscheidet sich halt vom Homo mercatorius. Danach gab es unterschiedliche Phasen. Unvergessen sind die Siebzigerjahre (meine Zwanziger). Bezirks- und Landesmeisterschaften waren sportliche Höhepunkte. Mindestens genauso prickelnd waren die Doppelkopfabende mit Schöngeistern wie Helmut Reefschläger. Mein 30. Geburtstag war eine Zäsur. Zu meiner Geburtstagsfeier hatte ich ausschließlich Schachfreunde eingeladen. Ein Schachfreund brachte mir das beste Geschenk aller Zeiten mit: Brigitte. Noch im selben Jahr haben wir geheiratet. Seitdem habe ich einen guten Grund, meine Geburtstage doppelt zu feiern. Vor wenigen Tagen waren es die runden Zahlen 70 und 40.

In der Folge geriet Schach immer mehr in den Hintergrund. Das lag nicht nur an meinem Beruf, meinem Eheleben und der Geburt meiner Tochter, sondern vor allem an der Erfüllung eines Jugendtraums: Radrennfahrer zu werden. Den Traum konnte ich trotz meines späten Einstiegs wahrwerden lassen. Mehrere Titel konnte ich einheimsen. Dafür waren Disziplin und hartes Training erforderlich. Der Radsport hat mir viel Freude bereitet; und zwar in der Regel mehr als Schach in seinen besten Momenten. Wer Körper und Geist in Schuss hält, hat gute Aussichten, das Rentenalter nicht nur zu erreichen, sondern dies ohne größere Einschränkungen zu genießen.

Das Rentenalter habe ich vor 5 Jahren erreicht. Nun plane ich eine weitere Zäsur. Schach steht dabei nicht auf der Agenda. Nicht, weil ich etwa verbittert wäre, keineswegs, ich habe nur einfach keine Lust mehr. Im Grunde geht es mir so wie Vladimir Kramnik allerdings mit dem Unterschied, dass ich bereits seit 55 Jahren Turnierschach spiele, von denen ich nur wenige Jahre ausgelassen habe. Nun könnte ich mich ja – wie es viele andere Schachfreunde in der gleichen Situation tun – für Organisationszwecke zur Verfügung stellen, wären da nicht die Strukturen, die

Konrad-Adenauer-Denkmal in Bonn

aus einer Zeit stammen, als Konrad Adenauer Bundeskanzler war. So alt kann ich gar nicht werden, dass sich daran etwas Entscheidendes ändert. Das liegt an der Mehrheit der Funktionäre, die konservativ und autoritär ausgerichtet ist. Es gibt auch die fortschrittlichen – dazu zähle ich unseren NSV-Präsidenten Michael S. Langer -, doch die sind ziemlich machtlos, weil sie seit jeher ausgebremst werden. Darüber hinaus beobachte ich eine zunehmende Selbstgerechtigkeit unter den Hardlinern, die durch die sozialen Medien befeuert wird. Das stößt mich ab. Eine Haltung, die z.B. der Geschäftsführer des DSB-Wirtschaftsdienstes verkörpert, ist nicht mit meinen Wertvorstellungen vereinbar.

In Kürze steht die Neuwahl des DSB-Präsidenten an. Ich hoffe, dass Uwe Pfenning gewählt wird. Auch ihm wird es nicht gelingen, die Strukturen umzukrempeln, aber die Rückkehr zu mehr Menschlichkeit unter uns Schachspielern traue ich ihm zu. Der amtierende Präsident Ullrich Krause hat mich enttäuscht. Seine Ideen fördern nicht die Schachkultur. Außerdem hat er auf die falschen Leute gesetzt, wodurch das Hauen und Stechen unter den Schachfunktionären zugenommen hat. Angesichts des Gezänks habe ich manchmal den Eindruck, Mitglied einer reaktionären Partei zu sein, die sich alternativ nennt.

Bei den Schachfreunden Hannover war die alternative Welt bislang in Ordnung. Gleichwohl sind auch wir vom Aderlass betroffen, mit dem die meisten Schachvereine zu kämpfen haben. Deshalb ist für die nächste Saison eine Spielgemeinschaft mit dem SK Ricklingen beschlossen worden. Ich halte nichts davon. Besser das ehrenvolles Ende einer Ära als das Abgleiten in die Beliebigkeit der Identität. Nichtsdestotrotz wünsche ich denen, die für die Spielgemeinschaft eintreten, viel Erfolg. Meine Vereinszugehörigkeit wird am 30. Juni 2019 enden. Ich blicke zurück auf 55 „feiste“ Jahre mit Höhen und Tiefen. Ohne die Tiefen hätte ich die Höhen nicht wahrgenommen.

Dem Schachspiel bleibe ich natürlich verbunden. Ich werde weiterhin Just for Fun Schachspielen und womöglich hier oder anderswo meine Sicht der Dinge kundtun. Unserem Blog habe ich 5 Jahre lang den Stempel aufgedrückt. Dabei hat es immer wieder gemenschelt. Das hat nicht jedem gefallen. Der Unterhaltungswert hat indes gestimmt. Deshalb möchte ich meinen Beitrag mit dem mir eigenen Humor beenden:

Als ich an meinem 70. Geburtstag vor dem Kölner Dom stand, entsandte der Himmel eine Botschaft in Gestalt zweier Möpse. Mir war sofort klar, was dieses Zeichen bedeuten sollte. Zu den geistreichsten Erkenntnissen unserer Epoche gehört Loriots Satz:

Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos.

Für Schachspieler lautet der Umkehrschluss:

Ein Leben mit Schach ist sinnlos, aber möglich.

Amen.

Zwei Möpse für ein Halleluja!